Verfassungsrechtler für AfD-Verbot: „Den Staat vor Unterminierung schützen“
Ein AfD-Verbotsverfahren könnte Erfolg haben, schreiben Verfassungsrechtler:innen an den Bundestag. Die Partei dürfe keine Macht bekommen.
taz: Herr Goldmann, Sie und 16 andere Verfassungsrechtler:innen haben dem Bundestag eine juristische Einschätzung geschickt: Die AfD sei verbotswürdig. Wie kam das zustande?
Matthias Goldmann: Die Initiative kam von meinem Fakultätskollegen Emanuel Towfigh, einem Parteienrechtler. Wir hatten dazu schon öfter diskutiert. Anfang des Jahres war Samuel Issacharoff, ein Verfassungsjurist aus den USA, für einen Vortrag bei uns an der EBS Universität zu Gast. Er hat über die Transformation der Verfassung unter Trump gesprochen und sie mit der Erfahrung der Weimarer Republik verglichen. Ein wesentlicher Unterschied ist heute der schleichende Prozess, mit dem sich der Autoritarismus in einer Verfassung ausbreitet. Das hat unsere Diskussionen über ein AfD-Verbot enorm angeregt. Die konkrete Initiative für unsere Stellungnahme kam dann, weil wir sahen, dass der Verbotsantrag in den Bundestagsfraktionen kein Selbstläufer wird. Gleichzeitig steht nun die Bundestagswahl an. Die Frage ist, was da passiert und wie schwer das politische System erschüttert wird.
taz: Warum?
Goldmann: Man muss noch nicht mal davon ausgehen, dass die AfD an die Macht kommt. Es könnte sein, dass sie genügend Stimmen bekommt, um etwa Beschlüsse zu blockieren, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Wenn auch noch das BSW reinkommt, wird es problematisch. Das war für uns der Anlass, diesen Aufschlag zu machen.
45, ist Professor für Internationales Recht an der EBS Universität. Außerdem ist er Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg.
Unter den Autor:innen sind auch bekannten konservative Jurist:innen. Wie kontrovers waren ihre Diskussionen?
Goldmann: Es war klar, dass es eine breite Koalition sein muss. Natürlich wird da sehr kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite gab es Kollegen wie Andreas Fischer-Lescano, der sehr viel Erfahrung mit dem staatlichen Umgang mit Extremismus hat, was zu einer kritischeren Perspektive auf den Verfassungsschutz führt. Auf der anderen Seite gehört auch der Kollege Kyrill Alexander Schwarz zu den Unterzeichnern …
taz: …der unter anderem die CSU bei Klagen gegen die Ampel vertreten hat und Mitglied im konservativ geprägten „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ ist.
Goldmann: Und so gibt es immer noch ein paar Dinge, die strittig sind, zum Beispiel der Extremismusbegriff. Oder wie man „Delegitimierung demokratischer Institutionen“, also eine Art staatszersetzender Kritik, von legitimer Kritik abgrenzt. Das ist für die Rechtsprechung eine Herausforderung und da dürfte in vielerlei Hinsicht noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Das zeigt eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München aus diesem Jahr, Sie lehnt das Kriterium der „Delegitimierung“ zwar zunächst ab, stellt kurioserweise dann aber genau darauf ab, dass die AfD das Vertrauen in staatliche Institutionen untergraben wolle. Trotz solcher offenen Fragen wollten wir jetzt diesen Aufschlag machen, um noch ein Zeitfenster zu nutzen, ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anzustrengen, bevor es zu spät ist.
taz: In welchen Punkten herrschte Einigkeit?
Goldmann: Es gibt die Überzeugung, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die AfD weiterentwickeln muss. Die ist immer noch sehr stark an der NSDAP orientiert – und deshalb wahrscheinlich nicht ideal auf die AfD eingestellt.
taz: Warum?
Goldmann: Es gilt festzustellen, dass eine Partei als Ganzes ihrem Ziel nach die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen möchte. Das ist bei einer Partei, deren Ziele so diffus sind wie ihre Zusammensetzung, schwierig festzustellen. Die AfD hat eine Brückenfunktion. Sie verbindet ein eindeutig rechtsradikales, völkisches Milieu mit Wirtschaftsliberalen und mit nationalkonservativen Kräften, die sich vielleicht irgendwann mal in der CDU gefunden haben. So kann die Partei immer mit gespaltener Zunge reden. Das ist nie eindeutig. Die Rechtsprechung sagt aber, die Partei als Ganzes, in einer Gesamtbetrachtung, muss darauf ausgerichtet sein, die Verfassungsordnung umzustürzen oder zu beeinträchtigen. Das lässt sich bei einer Partei, die als Teil ihrer DNA ambivalent ist, nur schwierig feststellen, auch wenn sich in letzter Zeit die völkischen, ethnonationalistischen Äußerungen häufen. Das ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht so angekommen. Die ist noch immer am Verbot der Sozialistischen Reichspartei in den 1950ern orientiert.
taz: Die NSDAP-Nachfolgepartei wurde 1952 als erste Partei in der Bundesrepublik verboten.
Goldmann: Ja, und auch später bei den Verfahren gegen die NPD änderten sich diese Kriterien nicht, weil die NPD ja genau dem NSDAP-Vorbild entsprach. Jetzt aber haben wir mit der AfD etwas wirklich anderes. Es gibt viel Forschung, gerade in den Sozialwissenschaften, die herausstellt, wie sich die AfD von rechtsradikalen Parteien unterscheidet, die wir in der Vergangenheit hatten. Darin liegt nun die juristische Herausforderung: Wie nagelt man einen Pudding an die Wand? Wie macht man fest, was die relevante Zielrichtung ist?
taz: Und, wie?
Goldmann: Das geht eigentlich nur, indem man begreift, dass diese Ambivalenz Teil der Strategie ist. In der Stellungnahme bezeichnen wir das mit dem aus den Kommunikationswissenschaften stammenden Begriff der „plausible deniability“.
taz: Also die Mehrdeutigkeit der Sprache zur Manipulation der Adressat:innen zu nutzen. In ihrer Stellungnahme werden viele Zitate von AfD-Politiker:innen aufgelistet, die die Verfassungswidrigkeit der Partei zeigen sollen. Was, wenn darunter V-Leute des Verfassungsschutzes sind?
Goldmann: Wir haben die Stellungnahme im Verlauf von etwa zwei Wochen verfasst. Die Materialsammlung hatte das Team von Emanuel Towfigh schon für einen früheren Beitrag im Deutschen Verwaltungsblatt erstellt. Das hätten wir jetzt in dieser Kürze gar nicht machen können. Wir beurteilen das nur juristisch. Natürlich weiß niemand, welche Personen in der AfD nicht vielleicht auch für den Verfassungsschutz arbeiten. Dann stellt sich die Sache vielleicht anders dar. Es ist klar, dass bei einem Verbotsantrag alle VS-Leute abgeschaltet werden müssten. Ich würde hoffen, dass das erste NPD-Verbotsverfahren …
taz: … das 2003 scheiterte, weil V-Leute in der NPD Führungspositionen hatten, …
Goldmann: … dem Verfassungsschutz eine Lehre war: Man darf nicht so viele V-Leute platzieren, dass die Partei als gesteuert vom VS erscheint. Man muss darauf vertrauen, dass der VS seine Arbeit da richtig macht; wissen können wir es aber nicht. Zeigen würde das erst ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Uns ging es jetzt um die Frage, ob das, was an öffentlichen Äußerungen bekannt ist, ausreicht, um die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu begründen.
taz: Haben Sie auch die politischen und gesellschaftlichen Folgen eines Verbots diskutiert?
Goldmann: Natürlich. Etwa das Argument, ein Verbotsverfahren nütze nur der AfD, es mache sie zum Märtyrer. Die meisten von uns halten das nicht für stichhaltig.
taz: Warum nicht?
Goldmann: Erstens: Es gibt genügend Gründe, warum die AfD sich bereits jetzt schon zum Märtyrer macht. Etwa ihre Behandlung durch die etablierten Parteien. Dieses Stigma hat sie schon. Aber die AfD deshalb zu behandeln wie jede andere Partei, wäre brandgefährlich. Zweitens ist es zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. Die Debatte hätte man führen können, solange die AfD noch nicht die 30-Prozent-Marke erreichte und in manchen Ländern stärkste Partei wurde. Damit könnte sie die Kontrolle etwa über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts oder von Verfassungsänderungen bekommen. Natürlich beseitigt ein AfD-Verbot nicht die Gründe, warum Leute sie wählen. Und es ist Aufgabe der Politik, diese Ursachen anzugehen. Egal, wie man es anstellt, wird das aber nicht von heute auf morgen Erfolge verzeichnen. Deshalb geht es aus rechtlicher Sicht jetzt darum, als wehrhafte Demokratie den Staat vor einer Unterminierung zu schützen, bevor es zu spät ist. Man hat in Polen oder in Ungarn gesehen, wie schnell das passiert. Und die AfD muss nicht in einer Regierung sitzen, um Schritte in diese Richtung zu unternehmen.
taz: Aus Teilen der AfD sind schon seit Jahren Aufrufe zum Umsturz und zur Befehlsverweigerung von Beamten zu hören. Das wird sich absehbar radikalisieren, wenn es ein Verbotsverfahren gibt. Wie lässt sich eine solche Entwicklung gesellschaftlich auffangen?
Goldmann: Natürlich radikalisiert sich das schon, das ist völlig klar. Man muss aber auch sehen, welche Vorteile ein Verbot bringt.
taz: Welche denn?
Goldmann: Es entzieht der AfD die Ressourcen und das Vermögen, die Wahlkampfkostenerstattung. Und es entzieht ihr die Möglichkeit, Vorfeldorganisationen wie die Desiderius-Erasmus-Stiftung zu haben.
taz: Auch alle Parlamentsmandate würden verloren gehen. Was würde mit den freiwerdenden Sitzen passieren?
Goldmann: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass der Verlust des Mandats nach einem Parteienverbot nicht automatisch eintreten darf, sondern verhältnismäßig sein muss. Es muss also eine individuelle Einschätzung gemacht werden, ob von dem konkreten Abgeordneten eine Gefahr zu erwarten ist. Da wirkt sich dann natürlich auch die Pluralität aus. Beim AfD-Gründer Bernd Lucke wäre es wahrscheinlich schwierig gewesen, ihm das Mandat zu entziehen. Er ist niemand, der die AfD zu einer revolutionären Partei macht. Bei Björn Höcke hingegen könnte man das schon viel eher vertreten. Es ist aber eine einzelfallbezogene Entscheidung nötig. Treffen müsste die der Ältestenrat des Bundestages.
taz: Viele würden sich mit einem Parteienverbot kaum abfinden. Wie soll der Staat darauf reagieren?
Goldmann: Natürlich wird das einen harten extremistischen Kern nicht beseitigen. Den gab es aber schon vor der AfD, schon seit den 1990ern. Und den muss man mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen, also mit der Polizei, den Mitteln des Strafrechts und natürlich auch politisch. Die Herausforderung ist es, die Masse an Wählern, die verloren gegangen sind, wieder zu gewinnen. Da gibt es ein großes Spektrum an Dingen, die man dafür tun könnte.
taz: Was denn zum Beispiel?
Goldmann: Die Ökonomin Isabella Weber hat etwa das Stichwort ‚antifaschistische Wirtschaftspolitik‘ ausgegeben. Das ist heute nicht mehr so einfach wie in den Dreißigerjahren mit dem New Deal. Damals konnte man mit öffentlichen Investitionen Arbeitsplätze schaffen. Heute ist das viel komplizierter, weil die Gesellschaft viel fragmentierter ist. De-Industrialisierung korreliert mit AfD-Zustimmung. Einen echten regionalen Strukturwandel zu fördern ist eine Riesenaufgabe für die Politik. Doch das wäre eine nachhaltige Strategie, um die Wählerschaft wieder für die Demokratie zu gewinnen. Das zu versuchen, schließt aber keineswegs ein AfD-Verbotsverfahren aus.
taz: Schon heute folgen viele der populistischen Argumentation, dass die liberale Demokratie in Wirklichkeit viel autoritärer ist, als sie tut. Ein Verbotsverfahren wird sie in dieser Auffassung bestätigen.
Goldmann: Dieses Risiko ist extrem ernst zu nehmen, das ist der Punkt, den ich selbst am kritischsten finde. Die liberale Demokratie hat eine autoritäre Seite, das ist ganz klar. Und wir haben diese autoritäre Seite auch erst kürzlich gesehen, als zum Beispiel Wissenschaftler auf Listen gesetzt werden sollten oder Demonstrationen bezüglich des Gazakriegs verboten wurden. Der Kampf gegen den Autoritarismus muss immer geführt werden. Das schließt aber nicht aus, dass der Staat sich gegen Bedrohungen wehren darf. Entscheidend ist die Balance. Würde der Staat immer einseitig autoritär agieren, wäre das ein großes Problem. Man muss aber die Kritik des Autoritarismus verbinden mit dem Einsatz von Instrumenten gegen gesellschaftliche Kräfte, die tatsächlich letzten Endes das Prinzip der Freiheit in Gleichheit beseitigen wollen. Das ist sehr ambivalent. Doch naiv darauf zu vertrauen, dass das, was das „Volk“ tut, schon das Richtige ist – das ist in Zeiten von sozialen Medien, wo auch massivst manipuliert wird, nicht die richtige Methode. Zumal dieses „Volk“ auf Minderheiten und unterrepräsentierte Gruppen oft wenig Rücksicht nimmt.
taz: Ein Verbot würde bei vielen den Eindruck verfestigen, dass eine kleine Elite den Willen des Volkes ignoriert und ihr Weltbild gegen alle Widerstände durchzudrücken versucht. Der Staat verliert dadurch absehbar an Akzeptanz. Menschen werden ihn als Feind wahrnehmen, dem nicht zu trauen ist. Demokratie kann so als Farce empfunden und deshalb noch stärker abgelehnt werden. Was dann?
Goldmann: Deshalb stellt sich die Frage, wie man den Eindruck vermeidet, dass Menschen autoritärer Staatlichkeit ausgeliefert sind. Da geht es etwa um Selbstkritik des Staates. Und um Wirtschaftspolitik. Der Staat hat sich da in der letzten Zeit auch wegen der Schuldenbremse zu einseitig positioniert. Das fällt uns jetzt natürlich auf die Füße und das bereitet mir Sorgen. Es ist aber kein Grund zu sagen: Dann schauen wir jetzt zu, wie die AfD durchmarschiert. Man muss ein Verbot in sinnvoller Weise verbinden mit einer Korrektur staatlicher Politik, an vielen Stellen. Welche das genau sind, das dürfte im Kreis der Autor:innen unseres Papiers nicht immer konsensfähig sein. Dazu ist von uns Juristen auch nichts zu erwarten. Aber als interessierter Bürger würde ich sagen, der Staat muss in vielerlei Hinsicht Dinge ändern. Etwa bei Hartz IV. Damit hat man viele Leute verloren. Und nun ist die Frage, wie man die wieder gewinnt.
taz: Haben Sie diskutiert, ob die Stellungnahme für die Verfasser:innen selber eine Bedrohung nach sich ziehen könnte?
Goldmann: Wir haben es nicht diskutiert. Aber man kann sich das vorstellen. An Shitstorms bin ich inzwischen gewöhnt. Ich kümmere mich seit sieben, acht Jahren um Fragen der kolonialen Vergangenheit. Da kriegt man nach jedem Pressebeitrag Nachrichten. Aber bei einer so einer großen Gruppe wie dem Autorenkreis der Stellungnahme würden mich Drohungen eher wundern, auch, weil wir letzten Endes nicht die Entscheidungsträger sind. Die Gefahr besteht trotzdem immer. Ich habe jedoch sehr, sehr viele Privilegien. Wann soll ich die einsetzen, wenn nicht jetzt? Ich denke mir: Entweder du machst jetzt – oder es wird alles nur schlimmer.
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