Verfassungsgericht urteilt: Schmerzensgeld für illegale Haft
Erfolg für zwei Demo-Beobachter vor dem Bundesverfassungsgericht: Nach illegaler Festnahme ist grundsätzlich eine Schadensersatz-Zahlung nötig, entschieden die Richter.
FREIBURG taz | Wer bei einer Demonstration rechtswidrig und unzumutbar lange inhaftiert wurde, hat in der Regel Anspruch auf Schmerzensgeld. Dies entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Erfolg hatten damit zwei Aktivisten des Komitess für Grundrechte und Demokratie.
Das in Köln ansässige Komitee beobachtet bundesweit Demonstrationen und dokumentiert Polizeiübergriffe. Auch bei den Castor-Transporten im Herbst 2001 war das Komitee im Einsatz. Zwei der Beobachter, Helga Dieter und Ulrich Billerbeck, wurden jedoch von der Polizei festgenommen, angeblich zur Abwehr von Gefahren. Dabei saßen sie bei der Festnahme friedlich in ihrem Auto - drei Kilometer von der Bahnstrecke entfernt. Gemeinsam mit 70 anderen Personen wurden Dieter und Billerbeck zunächst auf einem Feld festgehalten, dann in einen Gefangenenbus und später in eine Turnhalle gebracht. Zeitweise wurde Billerbeck der Klobesuch verweigert. Erst zehn Stunden später wurden die Demo-Beobachter wieder freigelassen.
Sechs Jahre später, im März 2007, stellte das Amtsgericht Uelzen fest, dass der so genannte "Unterbindungsgewahrsam" rechtswidrig war. Von den beiden Demo-Beobachtern sei keine ersichtliche Gefahr ausgegangen. Der Gewahrsam habe auch viel zu lange gedauert, nach Passieren des Brennelemente-Transports hätte er beendet werden müssen.
In einem weiteren Verfahren beantragten Dieter und Billerbeck Schmerzensgeld in Höhe von 500 und 2000 Euro. Dies wurde jedoch vom Landgericht Lüneburg und vom Oberlandesgericht Celle verweigert. Es reiche für die Genugtuung der Kläger, dass die Rechtswidrigkeit der Verhaftung gerichtlich festgestellt wurde. Eine Geldzahlung sei deshalb nicht erforderlich.
Das sahen die Verfassngsrichter nun anders. Die Verweigerung des Schmerzensgeldes habe die Grundrechte der beiden Festgenommenen verletzt. Die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit reiche schon deshalb nicht als Genugtuung aus, weil sie erst sechs Jahre nach der Verhaftung erfolgte.
Zwar müsse es nur bei schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen einen Ausgleich in Geld geben. Eine zehnstündige illegale Inhaftierung sei jedoch schon deshalb schwerwiegend, weil sie andere vom Gebrauch ihres Demonstrationsrechts abhalten könnte. Außerdem seien nicht nur die Umstände des Gewahrsams unzulässig gewesen, sondern die ganze
Festnahme.
Über die Klage der beiden Demobeobachter muss nun das Landgericht Lüneburg erneut entscheiden.
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