piwik no script img

Verfassungsänderung in UngarnPräsident unterschreibt

Trotz internationaler Kritik tritt die Verfassung in Kraft. Die EU hatte eine Prüfung und gegebenenfalls Sanktionen wegen antidemokratischer Tendenzen angekündigt.

Der ungarische Präsident Janos Adler (li.) besucht Bundespräsident Gauck am 11. März. Bild: dpa

WIEN/BERLIN rtr/afp | Der ungarische Staatspräsident Janos Ader hat die jüngsten umstrittenen Verfassungsänderungen erwartungsgemäß in Kraft gesetzt. Die rechtskonservative Regierungsmehrheit im Parlament hatte sie vor knapp zwei Wochen verabschiedet. Die Grundgesetznovelle sei im Amtsblatt veröffentlicht worden, berichtete die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding hatte Ungarn wegen der umstrittenen Verfassungsreform mit der Kappung europäischer Hilfen gedroht. „Die Kommission ist Hüterin der Verträge und als solche sieht sie nicht tatenlos zu, wenn die Grundsätze dieser Verträge mit den Füßen getreten werden“, sagte Reding am Donnerstag in Berlin.

Die Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban hatte die Verfassungsänderungen im Budapester Parlament durchgesetzt, die international als Einschränkung demokratischer Rechte kritisiert werden.

Die EU-Kommission werde die Verfassungsänderung und die sich daraus ergebenden Folgen überprüfen, erklärte Reding und verwies auf Artikel 7 des EU-Vertrages. Demnach können die Rechte eines Mitgliedsstaates in der Europäischen Union eingeschränkt werden, wenn die Werte des Staatenbündnisses verletzt werden. Dies könne auch Kürzungen der Geldzahlungen an Ungarn oder Einschränkungen der Stimmrechte zur Folge haben.

Rechtsstaatlichkeit in Gefahr

Reding sagte mit Blick auf die verfassungsändernde Mehrheit der Fidesz im Budapester Parlament: „Mit dem Grundgesetz spielt man nicht. Man kann nicht alle sechs Monate hingehen und das Grundgesetz ändern.“ Sie habe den Eindruck, dass in Ungarn die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sei, sagte die Kommissarin, die wie Orban der konservativen Parteienfamilie angehört.

Durch die Verfassungsänderung werden in Ungarn alle Entscheidungen des Verfassungsgerichts seit 2012 ungültig. Zudem darf sich das Gericht bei Gesetzen nur noch mit Verfahrensfragen und nicht mehr mit dem Inhalt beschäftigen. Das Parlament kann die Ausreise von Bürgern für mehrere Jahre verbieten, die für ihr Studium staatliche Hilfe erhalten haben.

Kritiker werfen Orban zudem vor, mit der Verfassungsänderung die Machtbasis der Fidesz in öffentlichen Einrichtungen dauerhaft zu festigen. Die EU-Kommission fürchtet, dass durch die neue Verfassung unter anderem die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Zentralbank und des Justizwesens sowie anderer staatlicher Institutionen eingeschränkt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • HS
    Hari Seldon

    Zitat von Frau Viviane: "Mit dem Grundgesetz spielt man nicht."

     

    Sie hat Recht: Das Grundgesetzt eines unabhängigen Staates bestimmen die BürgerInnen des Staates, und nicht eine politisch nicht legitimierte (aber dafür sehr stark überbezahlte) Bürokratin aus der Ferne. Die osteuropäischen Staaten wie Ungarn haben schon genügend Erfahrung mit solchen Situatíonen. Vor der Wende kamen die Instruktionen, wie das Grundgesetz aussehen sollte, aus Moskau, und die Bürokraten im Politbüro aus der UdSSR haben beurteilt, was mit dem Prinzip der "sozialistischen Demokratie" vereinbar oder davon abweichend wäre. Interessanterweise sind die jetzt schreienden "Demokraten" gerade die direkten Nachfolgern der früheren SED in Ungarn. Und diese "Neudemokraten" wollen jetzt erzählen (nach 45 Jahre Unterdrückung mit Hilfe von fremden Panzerdivisionen) was Demokratie wäre. Auch ist es erwähnenswert, dass diese "Neudemokraten" sehr schnell aus Kommunisten in Neoliberalen mutierten, und haben zum Beispiel den ganzen Bankensektor, Medien, usw. übernommen. Die TAZ sollte ein bisschen Recherce machen, und darauf achten, mit wem sich die TAZ einlassen würde.

  • W
    Wolfgang

    Auch der (moderne) Faschismus des Finanz- und Monopolkapitals ist wandlungsfähig, in Ungarn wie in Deutschland (Hartz-IV-Strafvollzung und "Eingliederungsvereinbarung" für Arbeitslose, selbst nach mehr als 30-Vollzeit-Arbeitsjahren, und die BA-Beamtenforderung: auch für weniger als 30 Prozent vom Tariflohn (7,35 Brutto, statt 28 Euro) zu arbeiten (Hartz-Niveau, ohne Zuschlag, bei Vollzeitarbeit, weniger als im "1-Euro-Job")!

     

    Eben, modifizierter Faschismus, vorerst noch für eine Minderheit (mehrere Millionen), demnächst für die Mehrheit der werktätigen eigentumslosen wertschöpfenden Bevölkerung und deren Familienangehörigen! - in EU-Deutschland.

  • NU
    Na und

    wurde hier doch auch gemacht.

    Die Diktatur des Gouverneursrates, der ausdrücklich keinem Bürger und keiner Regierung Rechenschaft schuldig ist.

    Mit letztinstanzlicher Hoheit über sämtliche Geldmittel in der EU und beliebigen Druckmitteln ausgestattet.

    Und hieß noch nicht mal Verfassungsänderung, sondern EFSM und ESM.

    Spätestens nach der Bundestagswahl wird er sein wahres Gesicht zeigen.

    Aufstände sollen mit neuen Gesetzen zur Überwachung und Militäreinsatz im Inland (alles schon beschlossen und durchgewunken in den letzten 3 Jahren) verhindert werden.

  • I
    ilmtalkelly

    Was solls, in Deutschland nimmt die Regierung eine gute Verfassung an, und hält sie trotzdem nicht ein. Anstatt Sanktionen gegen Hartz4- Empfänger, entgegen dem Grundsatzurteil des BVerfG 09.02.10, zu erteilen, sollte die Bundesregierung von der EU selbst sanktioniert werden, ehe sie beim EU- Partner vor der Tür kehrt. Der Merkel-Wolf im Schafspelz samt großem Teil des Bundestages ignoriert die Festsetzung des BVerfG-Urteil: "Sanktionen nach §31 SGB-II, d. h. Einschränkungen dieser stets zu gewährleistenden Ansprüche, sind daher verfassungswidrig und nicht mehr zulässig".

     

    Gute Nacht, Demokratie, in Ungarn und hierzulande !