Verfassung in Ägypten: Jetzt soll es schnell gehen
Das Komitee für eine neue Verfassung will über einen Entwurf abstimmen. Indes versucht Präsident Mursi seine Vollmachten zu verteidigen. Er leide unter der Kritik an ihm.
KAIRO dpa/afp | Das von Islamisten dominierte Verfassungskomitee in Ägypten will am Donnerstag über seinen Verfassungsentwurf abstimmen. Die Abstimmung findet hinter einer über Nacht errichteten Betonmauer statt, die die Mitglieder des Gremiums vor Protesten schützen soll.
Die Muslimbruderschaft, die zusammen mit der radikal-islamischen Salafisten-Bewegung über die Mehrheit in dem Komitee verfügt, will mit der Beschleunigung des Verfassungsprozesses den Streit um den autoritären Kurs von Präsident Mohammed Mursi beenden.
Präsident Mohammed Mursi hat unterdessen seine hoch umstrittenen Vollmachten verteidigt. In einem Interview mit dem US-Magazin Time betonte Mursi am Mittwoch den temporären Charakter seiner Befugnisse. „Wenn wir eine Verfassung haben, wird alles enden, was ich gesagt und getan habe vergangene Woche“, sagte Mursi. „Meine Hauptaufgabe ist es, das nationale Schiff während dieser Übergangsperiode am Schwimmen zu halten. Das ist nicht einfach.“
Der aus der islamistischen Muslimbruderschaft hervorgegangene Präsident sagte, Ägypten sei noch in einer Lernphase. „Wir lernen frei zu sein. Wir haben das niemals gekannt. Wir lernen zu diskutieren“, sagte Mursi. Die Straßenproteste gegen seine Entscheidung wertete er als Zeichen einer demokratischen Entwicklung. Trotz aller Probleme seien die Ägypter entschlossen, weiter auf dem Weg von Freiheit und Demokratie voranzuschreiten, sagte Mursi.
Mursi leidet
In dem Interview gestand Mursi, dass ihm die durch den Erlass der umstrittenen Verfassungserklärung ausgelöste Krise auch persönlich zu schaffen macht. „Die Weltbühne ist sehr schwierig. Es ist nicht einfach, auf der Weltbühne zu sein.“ Auf Kritik angesprochen, dass er sich durch die weitere Stärkung seiner ohnehin weitreichenden Befugnisse zu einem „neuen Pharao“ entwickele, sagte Mursi ungläubig: „Kann ich das? Ich habe persönlich gelitten.“
Nach Darstellung von Mursis Anhängern war seine Verfassungserklärung, mit der er seine Entscheidungen der Prüfung und Aufhebung durch die Justiz entzog und auch eine gerichtliche Auflösung der umstrittenen Verfassungsversammlung verbot, notwendig, um eine Blockade des Übergangsprozesses durch die politisierte Justiz zu verhindern. Die Opposition und die Justiz sehen darin jedoch einen weiteren Schritt, die Vormacht der Islamisten zu zementieren.
Der Generalsekretär der Verfassungsversammlung, Ahmed Darrag, kündigte für Donnerstag eine Abstimmung über den Verfassungsentwurf an. Der Vorsitzende der Versammlung, Hossam al-Gheriani, rief die koptischen und liberalen Mitglieder, die aus Protest gegen die Dominanz der Islamisten das Gremium verlassen hatten, zur Rückkehr auf. Das Verfassungsgericht kündigte an, trotz des Verbots Mursis wie geplant über die Rechtmäßigkeit der Versammlung entscheiden zu wollen.
Heba Morayef von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte, angesichts der aktuellen „extremen Spaltung“ des Landes sei es der falsche Moment, die neue Verfassung durchzudrücken. Sie äußerte sich „sehr besorgt“ über gewisse Bestimmungen des Entwurfs. Die Opposition kritisiert neben der oft vagen und teils unklaren Sprache des Textes, die zu große Machtfülle des Präsidenten und die zahlreichen Verweise auf das islamische Recht der Scharia, durch die die Frauen- und Bürgerrechte untergraben werden könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden