Verdeckte Ermittlerin bald vor Gericht: Spitzelin verklagt Bespitzelte
An der Roten Flora prangten die Gesichter verdeckter ErmittlerInnen. Eine Beamtin fühlt sich nun in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.
AktivistInnen hatten im August 2016 die Konterfeis von vier enttarnten ErmittlerInnen mitsamt ihrer Namen an die Fassade des linksautonomen Zentrums Rote Flora gepinselt. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte die Polizei sie übermalt. Zwei der abgebildeten Beamtinnen stellten Strafanzeige: Maria B. und Astrid O. Maria B. hat ihre Anzeige zurückgezogen, wie aus der Akte hervorgeht. Astrid O. hielt an der Strafanzeige gegen Flora-Aktivist Andreas Blechschmidt fest. Die Staatsanwaltschaft hat nun Klage erhoben, wegen Verstoßes gegen das Kunst- und Urhebergesetz.
Aber auch der Angeklagte scheut den Rechtsstreit nicht – im Gegenteil. Blechschmidt bedankt sich bei der Polizei. „Eine bessere Möglichkeit, das Thema öffentlich zu problematisieren, kann man sich gar nicht wünschen“, sagte er. Die Fälle verdeckter Ermittlungen seien nur sehr unbefriedigend aufgeklärt worden. Bei den Betroffenen bleiben viele Fragen, zum Beispiel, warum gerade sie in den Fokus der Ermittlungen gerieten, was der Staat alles über sie weiß und wie lange die Daten gespeichert werden.
Die eventuelle Persönlichkeitsverletzung der Polizistin stehe in keinem Verhältnis. „Wer, wie die Hamburger Polizei, über Jahre hinweg dafür sorgt, dass seine BeamtInnen uns hintergehen, muss damit rechnen, dass mit Personalien gearbeitet wird.“
Iris P. war die Erste in einer Reihe öffentlichkeitswirksamer Enttarnungen. Sie war von 2000 bis 2006 in der linken Szene unterwegs, führte dort Liebesbeziehungen und infiltrierte den Radiosender FSK. 2014 wurde sie enttarnt.
Maria B. war von 2008 bis 2012 unter dem Tarnnamen „Maria Block“ aktiv. Im August 2015 wurde sie von einer Recherchegruppe enttarnt. Ein Jahr später reichte eine Betroffene Klage ein und bekam Recht.
Astrid O. war von 2007 bis 2013 für das Hamburger Landeskriminalamt und als Agentin für den Inlandsgeheimdienst im Einsatz.
Kristian K. ermittelte von 2003 bis 2004 verdeckt in der Szene, bis er aufflog.
Die Klage gegen ihn hat für Blechschmidt realsatirische Züge. Zwei der vier Fälle, die bereits aufgedeckt wurden, haben Gerichte für rechtswidrig erklärt. Allerdings ohne Folgen für die Beamtinnen. „Dass ich nun angeklagt wurde, als einer, der mutmaßlich sechs Jahre lang rechtswidrig ausgespäht wurde – zynischer geht’s nicht“, sagte Blechschmidt.
Die AktivistInnen rufen auf, zum Prozess zu kommen – seit Dienstag mit einem neuen Flora-Plakat. Unbekannte rissen bereits Teile ab. In einem Aufruf schreiben die AktivistInnen an die Ermittlerin O. gewandt: „Endlich sehen wir dich wieder, wie geil ist das denn? Eine ganz ganz heiße, zärtliche Umarmung ist dir gewiss, sofern du das möchtest, aber da sind wir uns eigentlich sicher. Astrid, wir sehn uns!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP