Verdächtig hoher Sieg in Bangladesch: Fast alle Sitze – „wieso nicht?“
Bangladeschs regierende Awami-Liga gewinnt die Parlamentswahl. Allerdings viel zu haushoch für ein politisch dermaßen gespaltenes Land.
„Wieso nicht?“, fragte Premierministerin Sheik Hasina, die sich zum dritten Mal in Folge die Macht gesichert hat. In ihrer Residenz in Dhaka verweist die 71-Jährige am Montagabend auf den auch von unabhängigen Beobachtern als eindrucksvoll betrachteten wirtschaftlichen Fortschritt, den Bangladesch in ihrer zehnjährigen Amtszeit gemacht habe. „Die Bürger haben ihr Urteil gefällt“, sagt sie.
Die Wahlen in dem 160-Millionen-Einwohner-Land gelten als eine der größten demokratischen Abstimmungen der Welt. Allerdings bestehen Zweifel daran, wie demokratisch die Wahlen tatsächlich waren. Mitglieder der Opposition behaupten, von Unterstützern der Regierung aus den Lokalen hinausgeworfen worden zu sein. Die taz stand in Dhaka vor verschlossenen Wahllokalen und beobachtete Einschüchterung von Wählern.
Vor einer Station in den Gassen von Old Dkaha drängte sich am Sonntag eine Traube Wähler. „Hier gibt’s nichts zu sehen. Wir haben gerade gewählt“, sagte einer. „Was redet ihr da?“, schimpfte eine Frau und lief wütend davon. „Unsere Stimmen sind abgegeben worden, bevor wir überhaupt hier waren.“
Opposition lehnt Wahlergebnis ab
Aufgebracht waren teilweise auch Unterstützer der Regierung. „Jemand hat an meiner Stelle für die Regierung gestimmt“, sagte eine fassungslose Wählerin mit bebender Stimme vor dem Kabi Nazrul Islam College in Old Dhaka. „Dabei hätte ich das sowieso getan.“
Vor einer anderen Wahlstation im Süden von Dhaka drängten sich rund zwanzig wartende Jungs. Wie alt er denn sei, fragte die taz einen von ihnen, der sich beschämt grinsend wegdrehte. „Sag nix“, raunte ihm ein anderer ebenfalls auffällig jung aussehender Wähler. Aus dem Hintergrund rief jemand „20“, ein anderer „23“.
Viele Wähler erschienen gar nicht. „Ich weiß Sinnvolleres mit meinem freien Tag anzufangen“, sagte ein junger Bangladescher.
Die Opposition hat das Wahlergebnis abgelehnt und fordert Neuwahlen. „Wir haben damit gerechnet, dass die Wahlen nicht frei und fair sein werden. Aber das Ausmaß, mit dem die Regierung dieses Mal manipuliert hat, ist jenseits von allem, was wir uns vorstellen konnten“, sagte Nazrul Islam Khan, Mitglied des ständigen Ausschusses der Oppositionspartei BNP (Bangladesh Nationalist Party), die von Sheik Hasina als „Terroristen“ bezeichnet wurde. Die Awami League und die BNP verbindet eine enge persönliche Feindschaft, die Bangladeschs Politik seit Jahrzehnten prägt. Am Wahltag kamen bei Ausschreitungen zwischen Anhängern beider Parteien 17 Menschen ums Leben.
Angst vor Repressionen
Medien in Bangladesch äußern Kritik an den Wahlen nur verhalten. Journalisten sagen, dass sie aus Angst vor Repression bis zu 80 Prozent ihrer Geschichten zensieren. Auf Anweisung der staatlichen Telekommunikationsbehörde gab es zum Zeitpunkt der Wahlen im ganzen Land kein mobiles Internet. Dabei ist sowieso fraglich, wie viel unerwünschte Nachrichten verbreitet worden wären. Ein neues Telekommunikationsgesetz sorgt dafür, dass Kritik in den sozialen Medien vor allem scherzhaft geäußert wird. „Kann mir bitte jemand sagen, ob meine Stimme schon abgegeben wurde? Sonst bleibe ich nämlich direkt im Bett“, postete ein Jurastudent auf Facebook.
Während die Regierungsanhänger jetzt euphorisch sind, gibt die Opposition sich desillusioniert. Doch überrascht ist sie nicht. Die Studentenproteste im Sommer, die breite Unterstützung in der Gesamtbevölkerung erhielten, galten noch als Zeichen einer steigenden Unzufriedenheit. Aber jetzt „ist Bangladesch zu einem Polizeistaat geworden“, sagt Menschenrechtsaktivist Shahidul Alam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind