Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Noch schweigt der Angeklagte
Der Prozess gegen den Syrer, der mutmaßlich für Assad folterte, geht weiter. Seine angekündigte Aussage machte der Angeklagte am Mittwoch nicht.
Böcker vertritt den Syrer Anwar R., dem die Bundesanwaltschaft Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58fachen Mord, Folter im mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorwirft. R. soll die Ermittlungsabteilung samt einem Foltergefängnis des Allgemeinen Syrischen Geheimdienstes geleitet haben, beides Teil der berüchtigten Abteilung 251. Seit letzter Woche steht er in Koblenz vor dem Oberlandesgericht. Weltweit zum ersten Mal muss sich ein mutmaßlicher Folterknecht des Assad-Regimes vor Gericht verantworten.
R.s Erklärung aber lässt auf sich warten. Das Gericht hat unterdessen die ersten ZeugInnen gehört – am Mittwoch Beamtinnen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Auswärtigen Amts. Sie machten klar, dass R. im Juli 2014 nach Deutschland einreiste – als Teil eines Aufnahmeprogramms für 5.000 besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge, das das Bundesinnenministerium 2013 aufgelegt hatte. R., so hieß es, sei „aus politischen Gründen“ nach Deutschland geholt worden. Der Grund: eine Empfehlung von Riad Seif, einem langjährigen syrischen Oppositionellen.
Das Auswärtige Amt bestätigte R. „im Grundsatz“ eine „aktive Rolle“ in der syrischen Opposition. So habe R. Anfang 2014 an den Friedensgesprächen Genf II teilgenommen. Als R. ein knappes Jahr nach seiner Einreise in Deutschland für sich und seine Familie einen Asylantrag stellte, wurde ihm ohne Anhörung Asyl gewährt. Als R. sich Ende 2012 nach Jordanien absetzte, scheint er also eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen zu haben.
Hinweise aus Schweden, Norwegen und Frankreich
Die Ermittlungen gegen R. in Deutschland wurden von ihm selbst ausgelöst, hatte zuvor der zuständige Ermittlungsleiter des Bundeskriminalamts ausgesagt. Einmal wurde R. als Zeuge in anderen Ermittlungen befragt, einmal ging er in Berlin, wo er als Flüchtling bis zu seiner Verhaftung lebte, selbst zur Polizei. R. fühlte sich vom syrischen Geheimdienst verfolgt – und suchte Hilfe. Als er dort den Beamten vorsichtig von seiner Tätigkeit in Damaskus berichtete, sendeten dieses einen Hinweis an das BKA.
Dort begann man Informationen über R. zusammenzutragen. Im BKA hatte sich bereits viel Wissen über Syrien angehäuft, seit September 2011 läuft ein sogenanntes Strukturverfahren. Der Ermittlungsleiter fragte beim Bundesnachrichtendienst nach und bei einer NGO namens CIJA, die Dokumente, die Aktivisten aus Syrien herausgeschmuggelt haben, auswertet und archiviert.
Er überprüfte die Bilder des ehemaligen syrischen Militärfotografen mit dem Decknamen „Caesar“, der Tausende Fotos von zu Tode gefolterten Gefangenen gemacht hat. Und er suchte nach Zeugen. Eine Aussage zur Abteilung 251, in der der Name R. fiel, lag dem BKA schon vor. Hinweise auf Opferzeugen kamen auch aus Schweden, Norwegen und Frankreich. Insgesamt habe man 70 Zeugen befragt.
Der BKA-Mann berichtete auch von Foltermethoden, die er nach Auswertung zahlreicher Opferaussagen für „Standard“ hält. Das sogenannte „Falaka“ gehört dazu, Schläge auf die besonders empfindlichen Fußsohlen. „Dulab“, wobei Gefangene in einen Reifen gesteckt und geschlagen werden. Elektroschocks. Das Aufhängen an der Decke, sodass die Fußspitzen gerade den Boden berühren. Inhaftierte, berichtete der BKA-Beamte, wurden so stunden-, manchmal tagelang hängen gelassen- und dabei geschlagen oder auch mit Zigaretten verbrannt.
Ähnliches sagte auch Laura Thurmann, eine Ethnologin, die kurz beim Phänomenbereich Syrien des BKA gearbeitet hat und im Auftrag der Bundesanwaltschaft ein Gutachten über die Situation in Syrien 2011/2012 erstellt hat. Im März 2011 begannen die Proteste gegen das Regime von Baschar al-Assad und dessen brutale Versuche, diese zu unterdrücken. Kurz vor Weihnachten 2012 setzte R. sich aus Syrien ab.
Der Prozess wird am 18. Mai fortgesetzt. Dann wird Verteidiger Böcker wahrscheinlich auch die Erklärung R.s verlesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin