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Verbraucherschützer über Kleidungssiegel„Eine bewusste Verwirrungsstrategie“

Kleidungssiegel gibt es heute viele – aber welches besagt was? Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale über Marketing und Konsum.

Eines von fünf neuen Stücken wird nie angezogen werden: Menschen tragen Einkäufe nach Hause Foto: dpa
André Zuschlag
Interview von André Zuschlag

taz: Herr Jorde, wenn ich ins Bekleidungsgeschäft gehe, wie viele Siegel oder Label, die mir Hinweise auf ökologische oder soziale Standards geben sollen, finde ich dort vor?

Tristan Jorde: Die knappe Antwort darauf lautet: unzählige. Es kommen ständig neue hinzu, was sicherlich auch eine bewusste Verwirrungsstrategie ist. Denn die Unternehmen haben erkannt: Wer die Marktmacht hat, kann auch ein Label etablieren. Ob diese allerdings sinnvoll sind, ist fraglich. Sie sind in den seltensten Fällen extern kontrolliert. Dazwischen gibt es ein paar wenige verlässliche Siegel – die allerdings sehen Sie dort kaum.

Wer vergibt all diese Label?

Das können staatliche Stellen sein, denken Sie etwa an den Blauen Engel. Dann gibt es Siegel von unabhängigen Stellen, die mit Gewerkschaften oder Umweltverbänden zusammenarbeiten – dort sind die Standards häufig vergleichsweise hoch, wenn man sich etwa das IVN-Best- oder das Gots-Siegel anschaut. Und dann finden Sie noch firmeneigene, etwa die Öko-Label von H&M oder Zara.

Ist denen zu trauen?

Ach, die sind immer schön bunt und haben gerne einen Baum als Logo. Sieht sehr nett aus und wird in den Geschäften sehr offensiv vermarktet, obwohl nur ein Bruchteil der Kleidung dieses Label hat.

Okay, also Greenwashing.

Raffinierter ist eine andere Methode: Die Vergabe von Label durch quasi-unabhängige Forschungsinstitute. Ein genauer Blick dahinter verrät dann, dass diese Institute von ein paar Bekleidungsunternehmen finanziert werden. Aus Verbrauchersicht sind deshalb Siegelportale ratsam, die meist immerhin einen ungefähren Hinweis auf die Nützlichkeit der Siegel liefern.

Kann ich mich beim Hinweis „Made in EU“ respektive „Germany“ wenigstens darauf verlassen, dass auf Sozialstandards in der Herstellung geachtet wurde?

Bild: Karin Gerdes
Im Interview: Tristan Jorde

ist Umweltberater und Leiter des Bereichs Umwelt und Produktsicherheit bei der Verbraucherzentrale Hamburg.

Auch das ist wenig aussagekräftig, denn hier wird nur der Ort des letzten Produktionsschrittes genannt. Zudem: Manche Löhne in der Textilindustrie liegen in Rumänien oder Bulgarien mittlerweile unterhalb von denen in Asien. In diesen Außenzonen geht es immer weiter bergab. Und selbst wenn etwas in Deutschland produziert wurde, befinden wir uns dort im Niedriglohnsektor.

Stichwort Asien: Der Fabrikeinsturz von Rana Plaza in Bangladesh im Jahr 2013 kostete mehr als 1.100 Menschenleben – es war das schwerste Unglück in der Textilindustrie. Hat sich seitdem denn etwas substantiell verbessert? Gab es ein Umdenken?

Einerseits ja. Immer dort, wo es zu medialer Beachtung kommt, reagieren die Unternehmen. Nach Rana Plaza haben Gewerkschaften einen Platz am Tisch bekommen. Im Zweifel können die Unternehmen aber einfach in abenteuerliche Nachbarländer weiterziehen. Dann lassen sie beispielsweise in Vietnam oder Kambodscha produzieren, wo die neuen Standards nicht gelten. Das Problem bleibt aber, dass die Textilindustrie aus einem undurchschaubaren Geflecht besteht. Da werden die Aufträge an ein Subunternehmen weitergeben, was wieder ein Subunternehmen einsetzt. So geht das immer weiter, bis das niemand mehr durchschaut.

Ist man als Verbraucher*in nicht in einer ziemlich blöden Situation, sich zwischen ökologischen oder sozialen Standards entscheiden zu müssen?

Absolut. Allerdings gibt es hier immerhin eine Entwicklung, die positiv ist: Die vertrauenswürdigen Öko-Labels haben erkannt, dass sie auch soziale Standards mit aufnehmen müssen. Genauso verhält es sich bei den sozialen Labeln, die auch ökologische Kriterien beachten. Diese Konvergenz nimmt allmählich zu.

Noch in diesem Jahr soll es erstmals ein staatliches Label geben – den Grünen Knopf. Wie schätzen Sie das ein?

Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Thema und habe schon viele Ankündigungen erlebt. Klar, das ist eine tolle Absicht. Ich bleibe aber lieber auch hier skeptisch, ob sich strenge Regeln durchsetzen. Außerdem gibt es doch bestehende gute Label, warum also schon wieder ein neues? Es trägt eher zur Verwirrung bei.

Wären gesetzliche Regelungen für unternehmerische Sorgfaltspflicht nicht der bessere Ansatz?

Orientierung im Siegel-Dschungel

Die Broschüre „Korrekte Klamotten“ (12 S., 1,80 Euro) ist bei der Hamburger Verbraucherzentrale zu bekommen: https://shop.vzhh.de/

Label-Glossar: Infos zu den wichtigsten Textil-Siegeln gibt es online hier: www.verbraucherzentrale-bremen.de/

Vortrag „Wegweiser durch den Labeldschungel“ mit Tristan Jorde: 13. 6., 16 Uhr, Verbraucherzentrale Hamburg, Kirchenallee 22. Eintritt frei

Das wäre mein großer Wunsch. Aber ein Blick auf die politische Großwetterlage gibt mir wenig Hoffnung, dass ein Gesetz in absehbarer Zeit kommt. Da ist dann sofort die Rede davon, dass der Export gefährdet sei. Davon sind wir bisher weit entfernt und ich sehe an den entscheidenden Stellen keinen politischen Willen, die sinnvollen Vorschläge, die existieren, auch in Gesetzen umzusetzen.

Nun dient der Kauf von Kleidung längst nicht mehr der einfachen Grundversorgung. Wir kaufen viel mehr als nötig. Aber gleichzeitig geben wir immer weniger Geld dafür aus.

Es ist das Mantra der globalisierten Billigproduktion: Ständig kommen neue Kollektionen auf den Markt zu billigen Preisen. Dass das weder ökologisch noch sozial sein kann, sollte klar sein. Die Nachhaltigkeitsregel Nummer eins wäre ja: „Lieber selten etwas Wertvolles kaufen als ständig irgendeinen Junk.“ Das gilt letztlich für alle Branchen übergreifend, ganz besonders aber in der Bekleidungsindustrie. Aber wir erleben ein junges, hipperes und schickeres Klientel, das die ständige Befriedigung nach neuen Klamotten fordert. Und dabei werden rund 20 Prozent der neu gekauften Kleidung nie getragen. Das sind reine Impulskäufe, die bestenfalls noch in der Altkleidertonne landen.

Weniger wäre also mehr?

Ich brauche mich nicht hinstellen und den Leuten sagen, sie sollen aufhören, Kleidung zu kaufen, weil das weder ökologisch noch sozial ist. Es gibt ja mittlerweile dieses perverse Phänomen der Zalando-Partys: Da bestellen sich die Leute ihren neuesten Fummel, tragen den abends und schicken ihn am nächsten Morgen zurück – weil der Versand ja umsonst ist. Die halten mich dann für einen Birkenstock tragenden Ökotypen. Sinnvoller ist es, dieses Phänomen aufzunehmen. Da brauche ich eine neue Strategie. Wenn die Menschen ständig neue Kleider wollen, müssen Kleidertauschpartys, Second-Hand- und Vintage-Geschäfte oder Flohmärkte und Upcycling-Veranstaltungen hip werden.

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