Verbotene Pestizide in Frankreich: Massenprotest gegen neues Agrargesetz
Fast zwei Millionen Französ:innen haben eine Petition gegen ein Gesetz unterzeichnet, das verbotene Pestizide erlaubt. Die Regierung steht nun unter Druck.
Der Hauptgrund dafür ist, dass die in Frankreich verbotenen Pestizide der Neonikotinoid-Gruppe mit diesem Gesetz erneut verkauft und namentlich von den Zuckerrüben- und Haselnussproduzenten in der Form von Acetamiprid (hergestellt und vertrieben u.a. von Bayer CropScience) eingesetzt werden dürfen.
Diese Familie von Nervengiften zur Bekämpfung von schädlichen Insekten ist auch als „Bienenkiller“ bekannt und steht zudem im dringenden Verdacht, für die menschliche Gesundheit und das gesamte Ökosystem schwerwiegende Folgen zu haben. Diese sind jedoch von wissenschaftlichen Studien noch wenig belegt.
Dass am 8. Juli die landwirtschaftliche Verwendung dieser Gruppe von Pestiziden trotz ihrer unerfreulichen Nebenwirkungen dennoch wieder, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, offiziell erlaubt wurde, ist hauptsächlich dem sehr erfolgreichen Lobbying der Agrarchemie und des Großbauernverbands FNSEA zuzuschreiben.
Interessen von Wirtschaftskonzern werden priorisiert
Diese hat seit Längerem gegen angeblich zu viele umweltpolitische Auflagen und Verbote kämpft, weil diese für die französische Landwirtschaft eine Benachteiligung im internationalen Wettbewerb darstellten. Dass die Neonikotinoide nur in Frankreich, nicht aber in der ganzen EU, verboten waren, lieferte ihnen dafür ein schlagkräftiges Argument.
Nichts zwang jedoch die Senatoren und die Abgeordneten, dem mehr Gewicht zu geben als den eindringlichen Warnungen aus der Umweltbewegung, der Medizin und der Wissenschaft. Diese Parlamentarier geben damit ein deutliches Signal für ihre Prioritätensetzung: Die unmittelbaren Interessen eines Wirtschaftssektors kommen vor dem Schutz der Gesundheit und der Biodiversität.
Das Gesetz Duplomb stellt eine eigentliche Trendwende dar. Denn neben dem besonders kritisierten Kapitel der Pestizide wird darin auch die Schaffung der sehr umstrittenen künstlichen „Mega-Wasserbecken“ für landwirtschaftliche Intensivbetriebe gefördert, auch werden die Bewilligungsverfahren für den Bau von riesigen Rinderzuchtbetrieben vereinfacht.
Lobby in Kommission vertreten
Dies erfüllt weitgehend die Wünsche des FNSEA, was nicht erstaunt, da man dank Online-Magazin Mediapart entdeckt, dass in der zuständigen gemischten Kommission des Senats und der Nationalversammlung von 27 Mitgliedern nicht weniger als 4 aus der FNSEA-Führung kommen, 11 gegenwärtig oder früher Landwirtschaftsunternehmen leiteten.
Hinzu kommt ein Vertreter der Agroindustrie und ein Ex-Landwirtschaftsminister. Die Grünen beispielsweise haben dagegen nur gerade einen Sitz in dieser Kommission, die für die Ausarbeitung der definitiven Gesetzesvorlage zuständig war.
Sie hat auch das etwas ungewöhnliche Vorgehen beschlossen. Die erste vom Senat gebilligte Version der Loi Duplomb war nämlich von der Nationalversammlung ohne Debatte und Votum direkt zur „Differenzbereinigung“ an diese Kommission weitergeleitet worden. Die Petition kritisiert darum auch, dass es keine genügende Debatte gab und verlangt darum eine neue Diskussion mit Votum.
Konservative setzen auf Sommerpause
Das Petitionsrecht sieht vor, dass die Vorsitzenden der Fraktionen der Nationaversammlung eine Debatte auf die Tagesordnung stellen können (sollten?), wenn mindestens 500000 Unterschriften eingereicht sind. Nichts zwingt sie aber dazu … außer dem öffentlichen Druck. Und der wächst zurzeit von Tag zu Tag mit der Zahl der eingehenden Unterschriften, deren Identität von der Plattform geprüft wird.
Die Gegner der Loi Duplomb schöpfen Hoffnung. Die Macronisten und die konservative Rechte stellen sich dagegen bisher taub, sie setzen auf die Sommerpause. Über eine eventuelle Diskussion wollen sie eventuell im September mit sich reden lassen, falls bis dann das Thema nicht in Vergessenheit geraten ist.
Der Staatspräsident, Emmanuel Macron, hat zudem mehrere Mittel, sein Veto gegen eine beschlossene Vorlage einzulegen: Er kann sich weigern, das Gesetz mit seiner Promulgation in Kraft zu setzen; er kann auch gestützt auf seine Verfassungsrechte eine neue parlamentarische Debatte anordnen; und er könnte in einer so umstrittenen Gesellschaftsfrage eine Volksabstimmung (Referendum) organisieren.
Obwohl das umstrittene Agrargesetz eigentlich seinen ökologischen Wahlversprechen zuwider läuft, schweigt er bisher, um seine ohnehin schwache Regierung nicht zusätzlich ins Wanken zu bringen. Eine Studentin, die mit der Unterstützung durch 2 Millionen Landsleute die mächtigste Lobby in Frankreich in die Knie zwingt, das schüfe einen für die Staatsmacht gefährlichen Präzedenzfall.
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