Verbot von Reichsbürgergruppierungen: Gefährliche Szene
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat zum ersten Mal eine Reichsbürger-Gruppe verboten. Warum erst jetzt?
E s ist ein gefährliches Milieu, das sich da zusammengebraut hat – und es wird in der derzeitigen Lage noch gefährlicher. Am Donnerstag hat Bundesinnenminister Horst Seehofer die Reichsbürgertruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ verboten. Das erste Verbot in dieser Szene. Und man fragt sich: Warum erst jetzt?
Viel zu lange hatten die Behörden die Reichsbürger machen lassen, als Sonderlinge abgetan. Erst zuletzt erfolgte ein Kurswechsel. Dabei formiert sich in der Szene fast alles, was extremistische Gefahr ausmacht: eine radikale Ablehnung der hiesigen Demokratie, Bedrohung von Staatsvertretern, eine Affinität zu Waffen. Satte 19.000 Personen zählen die Behörden derzeit als Reichsbürger, darunter einige Polizeibeamte.
Auch die jetzt verbotene Gruppe hatte immerhin 120 Mitglieder. Und auch sie verfasste volksverhetzende Aufsätze, überzog Behörden mit Drohschreiben, drohte Hände abzuhacken und wollte den Holocaustleugner Horst Mahler freipressen. Bloße Spinnereien? Längst nicht mehr nur.
Bereits 2016 wurde in Bayern ein Polizist von einem Reichsbürger erschossen. Später schoss ein Gefolgsmann auch in Sachsen-Anhalt auf Beamte. Die Gewalt durfte niemanden überraschen: Die Szene wähnt sich im Widerstand, sieht sich zur Gewalt legitimiert, die sie als Notwehr verbrämt. Gut 500 Mitglieder in Deutschland besitzen noch immer ganz offiziell eine Waffenerlaubnis. Eine sehr beunruhigende Zahl.
Es ist höchste Zeit, dieser Szene Grenzen aufzuzeigen. Indes: Die Reichsbürger sind keineswegs die Einzigen, die sich im Widerstand gegen die Bundesrepublik wähnen. Auch andernorts fiebert man einem Tag X entgegen, an dem die hiesige Ordnung zusammenbricht. Auch unter Preppern oder klassischen Neonazis gibt es das Bestreben, die Bundesrepublik zur Strecke zu bringen, und eine Vorliebe für Waffen.
Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in der sich einiges gen Ausnahmezustand bewegt, könnten diese Leute ihre Zeit gekommen sehen. Die Sicherheitsbehörden sind gut beraten, jetzt hellwach zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation