Verbot von Anti-Nazi-Protest in Rostock: „Falsches Signal"
In der Hansestadt darf kein Demokratiefest gegen den NPD- Aufmarsch am 1. Mai stattfinden. Vor Gericht konnten aber Gegendemos durchgesetzt werden.
ROSTOCK taz | Demokratiefest verboten, Gegendemonstrationen erlaubt: In der Nacht zum Feiertag hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald entschieden, welcher Protest gegen den 1. Mai-Aufmarsch der NPD in Rostock zulässig ist. Das breite gesellschaftliche Bündnis „1. Mai Rostock nazifrei“ musste vor Gericht ziehen, da die Stadtverwaltung kurzfristig fast alle geplanten Gegenaktionen verboten hatte.
„Wir sind fassungslos, wie die Stadt versucht, friedlichen Protest zu unterbinden. Andere Städte hätten gezeigt, dass ein breiter Protest gegen die NPD sehr gut gemeinsam mit der Kommune funktionieren kann“, sagte Claudia Barlen vom Bündnis.
In der Nacht erklärte das Bündnis „1. Mai Rostock nazifrei“, nicht erneut gegen das Verbot des Demokratiefestes vorzugehen: „Wir wollen auch keine politische Alibi-Veranstaltung durchführen“. Die Verantwortung läge nun bei der Stadt, die nicht einmal Alternativen angeboten hätte.
Das Demokratiefest hätte am SBZ Börgerhus stattfinden sollen. Das Bündnis, dem sich 150 Initiativen aus allen Stadtteilbegegnungszentren, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Jugendverbänden und Sportvereinen angeschlossen haben, hatte mit rund 2.000 TeilnehmerInnen gerechnet.
„Verbale Aussagen reichen nicht“
Mit einen offenen Brief hatte auch Imam Jonas Dogesch, der Sprecher des Migranet MV (Netzwerk der Migrantenorganisationen in Mecklenburg-Vorpommern) versucht, die Verwaltung zum Umdenken zu bewegen. Die Verbote wären ein „verheerendes Signal“ schrieb er. Nach der OVG-Entscheidung können aber nun zumindest um 10 Uhr Gegenkundgebungen am S-Bahnhof Lichtenhagen und am S-Bahnhof Lütten-Klein stattfinden.
Zusätzliche Kritik zog sich Oberbürgermeister Roland Methling mit folgender öffentlicher Stellungnahme zu: „Schon die Vielfalt der Versammlungsanmeldungen dokumentiert in beeindruckender Weise, dass rechtsradikales Gedankengut in Rostock keinen Platz haben darf! Ich danke allen demokratischen Kräften in Rostock, die als Veranstalterinnen und Veranstalter und auch als Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu beitragen, Weltoffenheit und Toleranz in unserer Stadt auch an diesem Tag ein Gesicht zu geben.“
„Verbale Aussagen des Oberbürgermeisters, der sich bei allen demokratischen Kräften in Rostock bedankt, reichen bei Weitem nicht aus,“ betont die stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di Nord, Conny Töpfer. „Weltoffenheit und Toleranz zu leben, bedeutet auch, friedliche Proteste in Hörweite der Nazidemo zuzulassen“, sagt die Gewerkschafterin. „Es kann nicht sein, dass all jene pauschal kriminalisiert werden, die Neonazis nicht unwidersprochen aufmarschieren lassen wollen“, kritisiert zudem Stella Hindemith, Leiterin des Büros der Amadeu Antonio Stiftung in Mecklenburg Vorpommern.
Aufmarsch nahe des Sonnenblumenhauses
In der Hansestadt will die NPD unter dem Motto „Arbeit – Heimat – Zukunft – wir kämpfen für Deutschland“ ab 12 Uhr aufmarschieren, im Stadtteil Groß Klein am S-Bahn-Haltepunkt Lichtenhagen, in Sichtweite des Sonnenblumenhauses. Dort griffen im Jahr 1992 Neonazis und Nachbarn über mehrere Tage eine Zentrale Aufnahmestelle für AsylbewerberInnen und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische VertragsarbeiterInnen an – bierbeseelt mit Steinen und Brandsätzen.
Auf der Webseite des NPD-Landesverbandes wird indes der Eindruck erweckt, dass die Polizei die Route des rechten Aufmarschs vorgeschlagen hätte. Anfänglich wollte die Partei auch durch Toitenwenkel ziehen; wohl eine bewusste Provokation, wurde in dem Stadtteil doch laut dem Generalbundesanwalt am 25. Februar 2004 der Imbissbudeninhaber Mehmet Turgut erschossen – vom NSU.
Zur Demo der Neonazis, den der NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit angemeldet hatte, erwarte die Polizei rund 300 Teilnehmer, sagt eine Sprecherin der Polizei. Eine viel zu niedrige Angabe, darf befürchtet werden. Als die NPD vor vier Jahren schon einmal durch die Gegend zog, kamen statt 400 Rechtsextreme über 600 Kameraden. 2014 könnten sich nach der Absage des NPD-Marsches in Berlin erst recht zahlreiche Mitglieder und Anhänger auf dem Weg nach Rostock machen. Eine Mobilisierung in den Norden läuft, heißt es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett