Verbandschefin über Alleinerziehende: „Sie fallen durchs Raster“
Die Pandemie trifft vor allem Alleinerziehende. Daniela Jaspers, die sich mit ihrem Verband für Einelternfamilien einsetzt, beklagt eine strukturelle Benachteiligung.
taz: Frau Jaspers, Ihr Verband hat wegen der Pandemie eine Krisenhotline für Alleinerziehende eingerichtet. Was berichten Ihnen die Menschen?
Daniela Jaspers: Die Probleme sind meist davon abhängig, welche Pandemieregeln gerade gelten. Klar, zunächst ging es viel um den plötzlichen Wegfall der Kinderbetreuung und oft des gesamten Netzwerks. Thema sind außerdem die enorme Mehrfachbelastung durch Homeoffice und Homeschooling oder die Verlagerung der Arbeit in sehr frühe Morgen- oder sehr späte Abendstunden, um den Anforderungen gerecht zu werden. Dazu kommt immer die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und damit einhergehend große finanzielle Sorgen. Bei Alleinerziehenden geht es ganz schnell um existenzielle Probleme.
55, ist Bundesvorsitzende des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter VAMV
Woher kommt das?
In vielen Fällen gibt es keine Puffer. Und ein Gehalt muss reichen. Alleinerziehende arbeiten sowieso meistens Teilzeit und sind die gesellschaftliche Gruppe, die am meisten von Armut bedroht ist. Lohnersatzleistungen, die dann auch noch zu spät gezahlt werden, reißen schnell ein enormes Loch in die Haushaltskasse. In der Pandemie kommen nun große Unsicherheiten durch schnell wechselnde Regeln dazu, die Alleinerziehende kaum berücksichtigen.
Woran machen Sie das fest?
An ganz alltäglichen Dingen: Wenn Sie nur allein in einen Supermarkt oder in die Arztpraxis dürfen, was machen Sie dann solange mit Ihrem Kind? Das können Sie ja nicht einfach zu Hause lassen. Oder: Was passiert, wenn Sie in Quarantäne müssen oder sogar krank werden? Anfangs wurden Alleinerziehende sogar in der Notbetreuung der Kita abgelehnt, weil unklar war, ob nur diejenigen mit alleinigem Sorgerecht auch alleinerziehend sind. Aber das ist natürlich Quatsch.
Warum?
Wenn Personen Verantwortung für Minderjährige übernehmen, allein sind und arbeiten müssen, muss klar sein, dass das Kind in die Notbetreuung darf. Da ist auch egal, ob die Mutter im Homeoffice arbeitet oder in Präsenz. Mit Kind ist Homeoffice nicht möglich. Auch das Wechselmodell hilft nicht: Man muss ja an den Tagen arbeiten und die Existenz sichern, an denen man das Kind hat.
Wie wirkt sich die Tatsache, alleinerziehend zu sein, in der Pandemie psychisch aus?
Bei 67 Prozent der Alleinerziehenden hat die psychische Belastung seit Beginn der Pandemie sehr stark zugenommen. Das zeigt sich zum Beispiel an Erschöpfung und Burnoutgefährdung. Alleinerziehende sind derzeit viel stärker belastet als Eltern in Paarfamilien. Die Sorgen um Beruf, Betreuung und Haushalt sind immens. Und dahinter, das muss man sehen, stehen immer die Kinder.
Reichen die staatlichen Hilfen?
Sie reichen nicht. Den Kinderbonus hat zum Beispiel nicht nur die Person bekommen, die die Betreuung tatsächlich stemmt, sondern auch der andere Elternteil, egal ob und wieviel Betreuung da stattgefunden hat. Wenn das Einkommen sowieso gering ist, decken Lohnersatzleistungen, die keine 100 Prozent sind, den Bedarf außerdem nicht ab.
Auch die Kinderkrankentage sind nicht gut durchdacht. Sie können Zwölfjährige nicht einfach allein zu Hause lassen. Alleinerziehende fallen an vielen Stellen einfach durchs Raster, ihre Situation wird viel zu wenig mitgedacht. Aber jedes fünfte Kind wächst in einer Einelternfamilie auf. Diese Lebensform gehört zu unserer Gesellschaft, und die Politik muss sie endlich in den Blick nehmen.
Was würde das in Pandemiezeiten bedeuten?
Staatliche Zahlungen sollten zeitnah passieren. Kinderbetreuung muss Alleinerziehenden offen stehen. Die Regelsätze müssen aufgestockt werden, und Geräte fürs Homeschooling müssen bezuschusst werden. Der Lohnausgleich für Geringverdienende muss bei 100 Prozent liegen. Teilzeit muss flexibel möglich sein, der Kündigungsschutz muss gelten, und Kinderkrankentage müssen bis zu einem Alter von 14 Jahren genommen werden können.
Und jenseits der Pandemie?
Die Lebensbedingungen von Alleinerziehenden müssen stärker in den Fokus rücken. Es ist zum Beispiel extrem ungerecht, dass das Kindergeld mit dem Unterhaltsvorschuss verrechnet wird. Wenn das Kindergeld erhöht wird, gehen außerdem Alleinerziehende leer aus, die Hartz IV beziehen. Wir brauchen deshalb dringend eine Kindergrundsicherung.
Außerdem werden Alleinerziehende immer noch wie Singles besteuert, nicht wie Familien. Aber sie sind auch Familien, nur ohne Trauschein. Und natürlich muss endlich das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Ein bisschen was ist immerhin schon passiert: Der steuerliche Grundfreibetrag für Alleinerziehende wurde dauerhaft verdoppelt. Das ist ein guter Anfang, aber trotzdem noch lange nicht gerecht.
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