Verband ruft zum Einlenken auf: Milchbauern beenden Boykott
Reaktion auf die angekündigten Milchpreis-Erhöhungen von Discountern: Der Milchbauernverband ruft Landwirte zum Ende des Boykotts auf.
BERLIN taz Plötzlich fängt Achim Schoof an zu strahlen: "Vom Berufsbild her", sagt der Milchbauer aus dem Dorf Börm in Schleswig-Holstein, "ist Milchviehhalter der schönste Beruf, den man wählen kann." Die Frage war, ob er seinen beiden Kindern trotz aller Not empfehlen würde, in des Vaters Fußstapfen zu treten.
Der schönste Beruf. Das Ganze zu vertiefen ist hier, am Brandenburger Tor in Berlin, der falsche Ort. Dazu machen die etwa 7.000 Milchviehhalter aus ganz Deutschland auf ihrer Demonstration für einen fairen Milchpreis zu viel Lärm. "Wir haben gewonnen und wir werden gewinnen", hat Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, so eben unter viel Jubel ins Mikrofon gerufen. Aber stimmt das? Immerhin: Der Discounter Lidl hat ab Montag eine Preiserhöhung für den Liter Milch um zehn Cent angekündigt und für das Päckchen Butter um 20 Cent. Das "lässt hoffen, dass insgesamt Bewegung in die Preisverhandlungen kommt", erklärt der Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM).
Nach Lidl signalisiert auch Aldi die Bereitschaft zu einer Neuverhandlung der Milchpreise. Aldi will sich dabei an den "aktuell im Markt diskutierten Erzeugerpreisen" orientieren. An den Aldi-Preisen richten erfahrungsgemäß auch die anderen Einzelhändler ihre Milchpreise aus. Auch Rewe, Edeka und Tengelmann zeigten sich verhandlungsbereit.
Doch was haben die Bauern davon, wenn die Milch in den Kühlregalen der Supermärkte teurer wird? "Das ist eben die Frage", sagt BDM-Sprecherin Jutta Weiß. "Dazwischen sind ja noch die Molkereien." Derzeit werde suggeriert, dass die Preiserhöhung auch bei den Erzeugern ankommt. "Aber noch ist nicht geregelt, ob sich die Molkereien dazu verpflichten müssen", so die Sprecherin. Genauso unklar sei, wie lange die höheren Preise überhaupt gelten sollen.
Diese Angst hat auch Achim Schoof. Seit zehn Jahren führt der 37-Jährige den Hof, der schon in achter Generation der Familie gehört. Von seinen 180 Kühen, von denen 150 regelmäßig gemolken werden, kann er nicht mehr leben. Dafür sind 28 Cent pro Liter Milch, die er von der Molkerei bekomme, zu wenig. Die Kosten für Futtermittel, Diesel und Dünger seien so gestiegen, dass er keinerlei Gewinn mehr mache: "Man lebt von der Substanz", sagt der schlacksige Blonde. Und schuld daran seien vor allem die Molkereien. Mit ihnen könnten die Milchbauern nicht "auf Augenhöhe verhandeln".
Bislang zahlen die Molkereien den Milchviehhaltern zwischen 25 und 35 Cent pro Kilo, je nach Region. Erst eine einzige Molkerei, die Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau, will die Forderung der Milchbauern nach 43 Cent pro Kilo erfüllen. Diese Milchwerke sind auf den Vertrieb für die lokalen Bergbauern spezialisiert und können deren Milch nicht einfach durch Lieferungen aus dem Ausland ersetzen.
Einen freien Markt für Milch gibt es nach Ansicht der BDM-Frau ohnehin nicht. Das liege an der ungleichen Machtverteilung. Den rund 100.000 Milcherzeugern stünden nur gut 100 Molkereien gegenüber, darunter Marktriesen wie Nordmilch, Campina oder Müller. An die sind sie durch Lieferverträge gebunden, die teilweise über fünf Jahre laufen. Überdies verbieten es meist auch die langen Transportwege, dass ein Milchbauer einfach zu einer anderen Molkerei wechselt. Der Vertrag setzt aber nur die Liefermenge fest, nicht den Preis. Der nämlich wird allein zwischen Molkerei und Einzelhandel ausgehandelt. Dem einzelnen Bauern wird anschließend der Preis einfach mitgeteilt. "Diese Hierarchie ist nicht gottgegeben, sie ist veränderbar", sagt Schoof in der Menge der Protestierenden. Vor allem die Molkereien müssten die Milch knapp halten. "Wir haben leider keinen Einfluss auf die Discounter." Auf der Bühne wird das Lied "No Milk today" geträllert, mit neuen Text: "Ein Erfolg gibt uns den fairen Preis zurück." Achim Schoof hat infolge des Milchboykotts schon 40.000 Liter in den Gully geschüttet - das sind 12.000 Euro. "Bei dem Preis spielt das einfach keine Rolle mehr", sagt er bitter.
Wie auch auf der Demonstration in Berlin, so hatten die Milchbauern in den letzten Tagen immer wieder kritisiert, dass die Molkereien bei den Preisverhandlungen zu wenig herausholten, obwohl die meisten von ihnen bäuerliche Genossenschaften sind. Jetzt appelliert der BDM an die Molkereien, mit den Erzeugern über die Menge direkt zu verhandeln, um so den Preis zu beeinflussen. Der Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes, Michael Brandl, hatte gestern großzügig betont: "Wenn der Lebensmitteleinzelhandel auf uns zukommt und sagt, wir lösen die Kontrakte auf, wir akzeptieren höhere Preise von euch, dann sind wir die Letzten, die sich dagegen verwehren."
Aber müsste, um die Preise nach oben zu treiben, nicht durch eine drastische Verringerung der Zahl der Kühe in den deutschen Ställen das Angebot dauerhaft verknappt werden? Die BDM-Sprecherin winkt ab. Schon ein Prozent mehr oder weniger Milch beeinflusse den Marktpreis nachhaltig.
Immerhin: Der Lieferstopp soll beendet, die Molkereien sollen wieder beliefert werden. Der BDM-Chef Romuald Schaber rief den Bauern am Brandenburger Tor zu: "Ich fordere Sie auf, ab heute Abend wieder Milch zu liefern." Wenn Handel und Molkereien sie aber wieder aufs Kreuz legen wollten, warnte er, "dann sind wir wieder da".
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