: Venedig führt die Revolte weiter an
■ Die Kapitulation der Österreicher und die Ausrufung der Republik stündlich erwartet
Venedig, 18. März 1848 (taz) – Neue Barrikadenbauten in Venedig: Die Lage der österreichischen Stadtherrscher wird von Stunde zu Stunde schwieriger. Schon seit Jahresbeginn geht Venedig in der Aufstandsbewegung allen anderen Städten Italiens voran, nun scheinen sich die Ereignisse zu überstürzen. Kurz bevor vergangene Woche die Flucht des als Peiniger Europas verhaßten Fürsten Metternich aus Wien bekannt wurde, sammelten sich Arbeiter und Studenten in den Vororten Venedigs zu großen Demonstrationen. Gestern zogen sie zur Piazza San Marco und forderten die Freilassung der beiden am 18. Januar von den österreichischen Behörden verhafteten Ideologen der Unabhängigkeitsbewegung, Daniele Manin (44) und Niccolo Tommaseo (46). Nur Stunden später, als sich immer mehr Venezianer als gut bewaffnet erwiesen, hat der Stadtkommandant den Forderungen nachgegeben und die beiden freigelassen. Inzwischen scheint auch Mailand aufzuwachen, das seit nunmehr 17 Jahren von General Josef Wenzel Graf Radetzky befehligt wird. Daß der 82jährige sich noch immer als Stadtkommandant halten kann, liegt vor allem daran, daß die Mailänder Aufständischen sich noch nicht auf das weitere Programm einigen können.
Ganz anders dagegen hier in Venedig. Das letzte Bollwerk der Österreicher, das Arsenal – eine der größten Werften für Kriegsschiffe in Europa –, ist mittlerweile völlig eingekesselt. Eine Kapitulation wird stündlich erwartet. Daniele Manin kann dann die Republik ausrufen – deren erster Präsident er werden dürfte.
Mit Manin, der eigentlich Medina heißt, kommt einer der angesehensten Liberaldemokraten der Freiheitsbewegung an die Spitze eines italienischen Stadtstaates. Er stammt aus einer jüdischen Familie, gilt als brillanter Rechtsanwalt und nahm nach seiner Konversion zum Katholizismus den Namen Manin an – als eine Art Programm: Ludovico Manin war der letzte Doge des republikanischen Venedig; seit die Franzosen 1797 die Stadt einnahmen – ihnen folgten dann die Österreicher –, gibt es keinen Dogen als Stadtherrscher mehr, sondern nur noch von den Besatzern eingesetzte Kommandanten. Manin hat aus dem altehrwürdigen (Wahl-)Amt des Dogen inzwischen das Symbol schlechthin für den Unabhängigkeitskampf gegen die Österreicher gemacht.
Die Frage wird allerdings sein, ob sich der eigenwillige Republikaner am Ende mit den in den anderen Städten hochgekommenen Volksführern verstehen wird: viele der Aufständischen in Turin und in Mailand arbeiten eher auf ein Königreich Italien denn auf eine Republik hin, und selbst den Antimonarchisten schwebt eher ein starker Zentralstaat denn eine Föderation von Stadtstaaten vor, wie es die Venezianer wollen. Wie auch immer: die „Demokratische Republik Venedig“ wird nun, nach mehr als einem halben Jahrhundert Unterwerfung unter die Österreicher, neue Impulse für ein erneuertes Italien geben – selbst wenn, was nicht auszuschließen ist, dieser erste Versuch der Unabhängigkeit noch einmal von den Kräften des alten Systems erstickt werden sollte. Werner Raith
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