Veit Harlan und „Nachkriegsantisemiten“: Festhalten an Vorurteilen
Ein Vortrag am Fritz-Bauer-Institut beschreibt am Beispiel von Regisseur Veit Harlan die Genese des „Nachkriegsantisemiten“. Er sah sich als Opfer.
Wer ist Antisemit und wer nicht? Die Frage ist sinnvoll zu stellen, aber sinnlos zu beantworten, wenn Antisemiten darüber die Deutungsmacht haben. Das verdeutlichte Lisa Silverman in einem Vortrag des Fritz-Bauer-Instituts, den sie am Mittwoch an der Goethe-Universität Frankfurt am Main hielt.
Die an der University of Wisconsin-Milwaukee lehrende Historikerin erläuterte die Opferumkehr, die es nach 1945 gegeben habe. Der von der NS-Regierung gelebte und geförderte Antisemitismus habe mehr als den Jüd:innen der Geisteshaltung der deutschen Gesellschaft geschadet. „Wir wurden verführt“ ist dabei eng verwandt mit „wir haben nichts gewusst“ und nicht minder irreführend. Der „Nachkriegsantisemit“, wie Silverman diesen deutschen Typus nennt, konnte sehr genau feststellen, wer ein Antisemit war – er selbst fiel nicht darunter.
Wie erfolgreich diese Strategie war, zeigt Silverman am Beispiel Veit Harlans. Harlan, der nach Leni Riefenstahl der wohl bekannteste Regisseur Nazideutschlands war und mit „Jud Süß“ den antisemitischen Hetzfilm drehte, wurde nach dem Krieg von den britischen Besatzern wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt. Während des Prozesses sagte er, mit dem Film von Chef-Propagandist Joseph Goebbels beauftragt worden zu sein und, vor allem, das Drehbuch deutlich harmloser gestaltet zu haben.
„Es ist gewiss sehr tragisch für mich, dass ich diesen Film gemacht habe“, zitiert Silverman Harlans Aussagen. „Ich glaube aber, dass es für den Film selbst und die dadurch Betroffenen gut war, dass nicht ein gehässiger Antisemit diesen Stoff gestaltete.“
Joseph Süß Oppenheimer ist in Harlans Film teuflisch und skrupellos, spinnt Intrigen, um schließlich eine junge Frau zu vergewaltigen. Der Film endet mit seiner Hinrichtung und dem Auftrag, alle Juden aus Stuttgart zu vertreiben. Harlan wurde 1949 freigesprochen, da negative Auswirkungen nicht feststellbar gewesen seien, gar die „milde Form“ des Films „die Juden als eine Erleichterung empfunden haben“, argumentierte der schon unter den Nazis tätige Richter Walter Tyrolf.
Ausdruck politischer Macht
„Wer Jud’ ist, das bestimme ich“, lautete die dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1897 bis 1910) zugesprochene Maxime. Nach 1945 habe umgekehrt der Leitsatz „Wer Antisemit ist, das bestimme ich“ als Ausdruck politischer Macht gegolten, so Silverman. Harlan stellte sich im Prozess als Opfer dar, war er doch in erster Ehe mit der jüdischen Schauspielerin Dora Gerson verheiratet gewesen, die sich ihm zufolge auf Druck der religiösen Verwandtschaft von ihm, dem Nichtjuden, getrennt habe. Gerson wurde später zusammen mit ihrem zweiten Mann und den beiden Kindern in Auschwitz ermordet.
Auch einstige jüdische Freunde führte Harlan als Aktivposten für sich an. Das Argument der „vielen jüdischen Freunde“ ließe sich heute wohl als Form des selektiven Antisemitismus verstehen, wonach das Betonen positiver Beispiele die Grundlage für das Festhalten an Vorurteilen bildet.
Zum Sündenbock sah sich Harlan gemacht, der sich als einziger NS-Regisseur vor Gericht verantworten musste. So wurde etwa Leni Riefenstahl zwar für wenige Wochen inhaftiert, verfolgte aber danach bekanntermaßen eine erfolgreiche Karriere als Fotografin. Auch Harlan konnte weiter Filme drehen. Boykottaufrufe und Proteste waren die Folge. Harlans Bemühungen, gegen diese Proteste vorzugehen, so Silverman, wurden zum Testfall für das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Bundesrepublik.
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