„Valeria Is Getting Married“ auf DVD: Dicke Luft ist mit im Bild
Regisseurin Michal Vinik navigiert ihre Figuren in „Valeria Is Getting Married“ durch ein Kammerspiel der Hoffnungen und Erwartungen.
Vorbereitungen zum ersten Date: Valeria kommt gleich am Flughafen in Tel Aviv an. Michael, der Mann von Valerias Schwester Christina (Lena Fraifeld), hat Blumen besorgt, es müssen die richtigen sein, er ist aufgeregter als alle anderen. Kein Wunder, wie man nach und nach versteht: Er hat die Angelegenheit arrangiert, er kassiert sogar eine beträchtliche Vermittlungsgebühr, ist etwas zwischen Online-Menschenhändler und einem Update des traditionellen jüdischen Schadchens (Heiratsvermittlung).
Er selbst hat seine Frau online kennengelernt. Auch sie ist, wie die jüngere Schwester Valeria (Dasha Tvoronovich), für diese Ehe aus der Ukraine gekommen, vor ein paar Jahren schon, inzwischen spricht sie sehr flüssig Hebräisch und arbeitet in einem Kosmetiksalon.
Es ist nie wirklich kalt hier, wirbt Christina für Tel Aviv, als sie Valeria vom Flughafen abholt. Im Sommer kann es heiß werden, aber es gibt ja den Strand.
Jetzt allerdings ist das Wetter nicht gut, es wird in den wenigen Stunden, in denen der Film spielt, nur immer schlechter. Sturzbäche, ein ständiges Grummeln im Hintergrund, nicht verkehrt, das metaphorisch zu nehmen, denn groß ist die Begeisterung bei der ersten Begegnung im richtigen Leben nicht.
Blumen und Handy helfen nicht
Dreimal haben Valeria und Eytan geskypt, nun aber kommt das Gespräch nicht in Gang. Da helfen die Blumen nicht, und auch nicht das Smartphone von Samsung, das er ihr, seine Nummer schon einprogrammiert, als Quasi-Verlobungsgeschenk mitgebracht hat. Auch ein paar russische Sprichwörter hat er auswendig gelernt und sagt sie auf. (Das Ganze spielt vor Russlands Totalinvasion.)
„Valeria Is Getting Married“ (Israel 2022, Regie: Michal Vinik). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich
Mitten hinein geht es, Details der Vorgeschichte schneidet der Film fast vollständig ab, alles soll sich aus der Situation selbst erschließen. Die Kamera von Guy Raz macht dabei die ohnehin engen Räume noch einmal enger, immer nah dran an Gesichtern und Körpern, Spiegel und Sichteinschränkungen für Unschärfen und Schärfeverlagerung nutzend. Eine Weile schließt sich Valeria später im Bad ein, die Semitransparenz der Tür, hinter die auch die Kamera nicht gelangt, steht für die Undurchsichtigkeit der Gesamtsituation. Die dicke Luft, die bald herrscht, ist so die ganze Zeit mit im Bild.
Christina ist nicht unglücklich, das Leben, das sie in Israel hat, ist nicht schlecht. Das sagt sie selbst, und so scheint es. Kinder hätte sie gerne, das hat bisher nicht geklappt. Die direkte Frage der Schwester, ob sie ihren Mann liebt, kann sie dann aber doch nicht bejahen. Yaakov Zada-Daniel spielt die unterschwellige Aggressivität des Mannes sehr gut.
Lena Fraifeld porträtiert eine Frau in schwieriger, nach allen Seiten moderierender Lage. Ein Moderieren, das auch ein Übersetzen ist, zwischen Hebräisch und Ukrainisch: Sie will für die Schwester das Beste, und das ist bei allen Versprechen, die Israel bietet, womöglich dann doch nicht der nette, aber farblose Eytan. Aber sie darf den eigenen Mann nicht verärgern, noch hat sie nicht die israelische Staatsbürgerschaft.
Auf engem Raum, in knapper Zeit navigiert Regisseurin Michal Vinik ihre Figuren durch ein Kammerspiel der Hoffnungen und Erwartungen. Über die Vergangenheit der Schwestern erfährt man wenig. Einmal erzählt Valeria auf das Drängen der anderen eine Anekdote aus der Kindheit, etwas mit Küken, eine wirkliche Pointe hat die Sache nicht. Die materielle Situation, die für alle Beteiligten im Hintergrund steht, ist präsent nur als der Druck, der auf allen lastet. Es spricht für Michal Vinik, dass man sich beim Zusehen sehr bald nicht mehr als Unbeteiligter vorkommt. Die dicke Luft atmet man mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit