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■ VorlaufVage Gespenster

„Das geteilte Ich“, So., 13.25 Uhr, WDR

Im „Fräulein von Scudery“ zieht ein Kunstschmied allnächtlich durch die Gassen und ermordet die Käufer seiner Geschmeide, ohne daß er sich tagsüber an das Ich seines nächtlichen Tuns erinnern kann. Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ beginnt damit, daß Ulrich, die Hauptfigur, eines Morgens beschließt, Urlaub zu machen von seinem Ich. Das Motiv des geteilten Ichs, das sich als gespalten erlebt oder seine vielfältigen Facetten nicht mehr unter einen Hut bringen kann, begleitet die moderne Literatur wie ihr eigener Schatten.

Für die „Reihe „Philosophie heute“ des WDR, eine jener wenigen Nischen des Fernsehens, in denen das zwitterhafte Genre des sogenannten Filmessays noch gepflegt wird, hat Christina von Braun eine kleine Geschichte dieses Motivs in Literatur, Malerei und Film zusammengestellt. Die Klammer ihres Films bilden seine beiden Antipoden: der Doppelgänger, bei dem ein Ich in zwei Körpern vorkommt, und die sogenannte multiple Persönlichkeit, bei der sich viele Ichs einen Körper teilen. Beide Figuren – derjenige, der fortwährend einen Doppelgänger hinter sich glaubt, und diejenige, die sich heute für Marilyn Monroe und übermorgen für eine verkannte Sängerin hält – haben eines gemeinsam: Beide nämlich haben ein „Bildproblem“, insofern sie die Bilder ihres Ichs mit diesem selbst nicht zur Deckung bringen können. Während der eine in jedem Bild sich selbst wähnt, kann die andere in keinem Bild, das sie von sich entwirft, sich selber sehen.

Daß insbesondere der frühe Film dieses Motiv so hartnäckig fortgeschrieben hat, ist darum mehr als nur psychologische Wachsamkeit. Es ist nebenbei eine spielerische Augenzwinkerei, ein ironischer Verweis auf seinen eigenen Status. Denn in seinen Doppelgängern, Gespenstern und Homunkuli reflektiert sich der Film als genau das „Bildproblem“, das er in ihnen darstellt: Auch für den Betrachter seiner Bilder gibt es keinen Standpunkt, von dem aus er klar entscheiden könnte, ob sie Teil seines wirklichen Lebens oder fiktive Fremdkörper sind. Andrea Kern

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