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Urteil zur umstrittenen ElbvertiefungGnadenfrist für den Wasserfenchel

Bevor die Elbe vertieft werden kann, muss der Umweltschutz konkretisiert werden, urteilt das Gericht. Die klagenden Verbände sind unzufrieden.

Großcontainerschiffe können Hamburg schon heute ansteuern – allerdings nur mit halber Ladung Foto: dpa

Hamburg taz | Die umstrittene Vertiefung der Unterelbe verzögert sich weiter. Das ist die Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig am gestrigen Donnerstag. Die Planfeststellungsbeschlüsse von Bund und Hamburg seien „rechtswidrig und nicht vollziehbar“, befand der 7. Senat des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts in letzter Instanz auf Klagen der Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Naturschutzbund (Nabu). Damit darf mit den Baggerarbeiten zur Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne zwischen Nordsee und Hamburger Hafen nicht begonnen werden.

Die rechtlichen Mängel könnten allerdings „geheilt“ werden und führten deshalb nicht zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse, so die Richter. Erforderlich seien aber ergänzende naturschutzrechtliche Planungen. Die Behörden von Hamburg und Bund müssen nun mit neuen Gutachten und ökologischen Ausgleichsmaßnahmen befürchtete Schäden an Fauna und Flora des Ökosystems Unterelbe ausschließen oder ausgleichen. Damit geht das Projekt in eine Warteschleife, die nach ersten Schätzungen mindestens ein Jahr dauern wird. Wann das Bundesverwaltungsgericht über diese Unterlagen erneut verhandeln wird, ist derzeit nicht absehbar.

Für die klagenden Umweltverbände ist das Urteil aus Leipzig allerdings kein Triumph. Das Gericht wies ihre Befürchtungen zurück, das ökologisch hochsensible und besonders artenreiche System der Unterelbe könnte massiv geschädigt werden. Das von den Tiden – also Ebbe und Flut – dominierte Gewässer ist Heimat diverser seltener oder vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Zum Symbol wurde der Schierlings-Wasserfenchel – eine unscheinbare, weltweit aber nur an der Tideelbe existierende Pflanze. Hier müssen die Planer ihre Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen zwar konkretisieren und ergänzen, so das Gericht. Im Grundsatz aber sei das Vorhaben „planerisch gerechtfertigt“.

Die Vertiefung der rund 120 Kilometer langen Unterelbe zwischen Nordsee und Hamburger Hafen um einen Meter gilt in der Hansestadt als Schicksalsfrage. Großcontainerschiffe mit einem Tiefgang von 13,5 Metern sollen unabhängig von Ebbe und Flut den größten Hafen Deutschlands und drittgrößten Europas anlaufen oder verlassen können. Tideabhängig, also mit auflaufendem Wasser, sollen Schiffe mit einem Tiefgang bis zu 14,5 Metern verkehren können.

Dafür ist eine Solltiefe von bis zu 19 Metern erforderlich, damit die großen Pötte bei Wellengang nicht auf dem Boden aufsetzen. In den vergangenen drei Jahren hat sich in Hamburg die Zahl der Riesenfrachter, rund 400 Meter lang und über 60 Meter breit, auf 150 Schiffe verdoppelt – aber sie können nur mit halber Ladung fahren.

Das Urteil kann man nicht schönreden

CDU-Wirtschaftsrat

Wie lange die internationalen Reedereien das ohne Aussicht auf die Ausbaggerung der Zufahrt noch mitmachen, ist offen. Die nordwesteuropäischen Konkurrenzhäfen Rotterdam (Niederlande), Antwerpen (Belgien) und das niedersächsische Wilhelmshaven haben keine Probleme mit dem Tiefgang, und aus Sicht eines chinesischen Reeders liegen all diese Häfen sowieso besser, weil dicht nebeneinander.

Bremerhaven dagegen, hinter Hamburg zweitgrößter Hafen Deutschlands, muss ebenfalls auf eine Genehmigung der Pläne zur Vertiefung der Wesermündung durch das Leipziger Gericht warten. Das hatte dafür im September vergangenen Jahres einen Baustopp verhängt, nun verlängert es den 2012 für die Elbvertiefung verhängten Stopp faktisch um mindestens ein weiteres Jahr – sehr zum Bedauern des Hamburger CDU-Wirtschaftsrates. „Das Urteil kann man nicht schönreden“, so dessen Landesgeschäftsführer Hauke Harders. „Die Entscheidung sendet international ein negatives Signal.“

Für so große Frachter ungeeignet

Seit mehr als zehn Jahren wird an der erneuten Ausbaggerung der Unterelbe geplant, mehrfach mussten die Pläne auf richterliches Geheiß überarbeitet werden. Es wäre die neunte Elbvertiefung der vergangenen 200 Jahre: Zwischen 1818 und 1825 war der einst flache Unterlauf auf 5,4 Meter unter Normalnull ausgebaggert worden, um die größer werdenden Schiffe der damaligen Zeit bewältigen zu können.

Die aktuell größten Containerfrachter aber haben einen Tiefgang von 16 Metern – nach der Ausbaggerung könnten sie Hamburg wenigsten fast voll beladen anlaufen. Der Fluss, das ist das Problem, ist von Natur aus für die Riesenfrachter von heute und morgen ungeeignet. Deshalb soll er eben geeignet gemacht werden: tiefer und breiter.

Für das aktuelle Vorhaben müssten etwa 40 Millionen Kubikmeter Schlick mit Saugbaggern aus dem Flussbett geholt und zum größten Teil in der Nordsee verklappt werden. Das entspricht rund 2,5 Millionen Lkw-Ladungen. Ohne die Ausbaggerung befürchten Politik und Wirtschaft in ganz Norddeutschland Konsequenzen für Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und Wirtschaftswachstum in der Region, in der etwa 150.000 Jobs vom Hafen abhängig sind.

Deshalb ist ihnen das Projekt auch viel wert: Die Baukosten von gut 600 Millionen Euro trägt zu zwei Dritteln der Bund, zu einem Drittel Hamburg. Weitere rund 160 Millionen Euro für zusätzliche Maßnahmen des Naturschutzes und der Deichsicherung muss Hamburg aufbringen.

Der rot-grüne Senat der Hansestadt hat in einer ersten Reaktion erleichtert das Urteil bewertet. „Wir haben jetzt Rechtssicherheit. In der Sache haben wir recht bekommen“, erklärte Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) am Donnerstag in Hamburg. Auch wenn die Pläne nun noch an einigen Stellen nachgearbeitet werden müssen, „gibt es keinen Zweifel daran, dass die Fahrrinnenanpassung kommen wird“.

Damit macht Horch, ehemaliger Hafenmanager und Ex-Präses der Hamburger Handelskammer, unverdrossen auf Optimismus. Eigentlich war er davon ausgegangen, heute den Startschuss für die ersten vorbereitenden Bauarbeiten geben zu können. So sind etwa die europaweiten Ausschreibungen für die Baggerarbeiten, die nur von wenigen und entsprechend begehrten Schwimmbaggern vorgenommen werden können, längst versandfertig. Im Herbst, so der Zeitplan, würde mit den Arbeiten begonnen werden können, abgeschlossen könnten sie Mitte 2018 sein. Das bleibt erst mal Theorie.

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