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Urteil zum DieselskandalGeld zurück für Schummelsoftware

Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs: Wer einen Diesel-PKW mit Thermofenster kaufte, hat Anspruch auf Schadensersatz. Aber es gibt Tücken.

Bei niedrigen Temperaturen wurde die Abgasreinigung gedrosselt: winterlicher Verkehr auf der A8 Foto: Michael Bihlmayer/imago

Karlsruhe taz | Bisher hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nur Diesel-Käufern mit dem VW-Motor EA 189 Schadensersatz zugebilligt. Bei diesen Motoren hatte VW eine Betrugssoftware eingesetzt, die dafür sorgte, dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand richtig funktionierte, im normalen Straßenverkehr aber nicht. Darin sah der BGH im Mai 2020 eine „vorsätzliche sittenwidrige“ Schädigung der Kunden.

Dagegen hat der BGH für den Einsatz sogenannter Thermofenster bisher Schadensersatz verweigert. Als Thermofenster bezeichnet man eine Software, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung bei tiefen und hohen Temperaturen nicht (vollständig) funktioniert. Da die Thermofenster dem Kraftfahrbundesamt auch schon vor Auffliegen des Dieselskandals im September 2015 bekannt waren, liege hier keine Sittenwidrigkeit vor, so der BGH noch im Januar 2021.

Im März 2023 eröffnete der EuGH jedoch einen neuen Weg zu Schadensersatz. Er gewährt auch bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungs-Verordnung (FGV) Schadensersatz, weil diese Verordnung auch dem Schutz der Bürger diene. Der BGH hatte das anders gesehen.

Nun folgte der BGH jedoch dem EU-Gerichtshof. Möglich sei Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzs gemäß Paragraf 823 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dabei soll es aber keinen „großen Schadensersatz“ geben, sagte die BGH-Senatsvorsitzende Eva Menges. Das heißt, der Käufer kann nicht verlangen, dass der Kaufvertrag rückabgewickelt wird, indem er das Fahrzeug zurückgibt und dafür den Kaufpreis zurückerhält.

Bis zu 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz

Stattdessen sollen die Käufer die Fahrzeuge mit den illegalen Thermofenstern behalten, haben aber im Prinzip Anspruch auf Geldentschädigung für den Minderwert, da möglicherweise eine Stilllegung der betroffenen PKW durch das Kraftfahrbundesamt droht.

Weil es hier um Millionen Fahrzeuge gehen könnte, soll allerdings nicht in jedem Einzelfall ein Gutachten eingeholt werden. Die Richter können vielmehr eine Summe zwischen 5 und 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz festlegen.

Doch bevor die Hersteller bezahlen müssen, sind noch drei Hürden zu nehmen. Erste Hürde: Es muss tatsächlich eine illegale Einrichtung zur Abschaltung der Abgasreinigung vorliegen. Wie der EuGH in einem anderen Urteil im Juli 2022 entschied, dürften zwar die meisten Thermofenster illegal sein. Es kann aber Ausnahmen geben, wenn das Thermofenster erforderlich ist, um Unfälle durch plötzlichen Motorausfall zu verhindern und die Abgasreinigung nur selten, also bei besonders hohen und besonders niedrigen Temperaturen, abgeschaltet wird.

Laut Richterin Menges müssen die Dieselkäufer beweisen, dass in ihrem Fahrzeug eine Abschalteinrichtung eingebaut ist. Und die Hersteller haben die Beweislast dafür, dass das Thermofenster ausnahmsweise legal ist. Eine VW-Sprecherin sagte nach dem Urteil, man sei felsenfest davon überzeugt, dass der seit 2012 gängige VW-Motor EA 288 legal sei. Er ist in vielen Modellen des Konzerns von VW Beetle bis Skoda Octavia zu finden.

Das Verwaltungsgericht Schleswig hat im Februar in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil festgestellt, dass die Abschalteinrichtung im Vorgänger-Motor EA 189 illegal war. Die Deutsche Umwelthilfe hat die Typengenehmigungen aller Diesel-PKW angegriffen. Es kann also lange dauern, bis für alle Motoren Legalität oder Illegalität geklärt ist.

Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall Null

Zweite Hürde ist das Verschulden. Die Hersteller müssen beim Einbau der Abschalteinrichtung mindestens fahrlässig gehandelt haben. Die Hersteller berufen sich jedoch darauf, dass sie – selbst wenn ihr Thermofenster illegal ist – davon nichts ahnen konnten, weil das Kraftfahrbundesamt in Flensburg damit immer einverstanden war. Schon einige Oberlandesgerichte (in Stuttgart, Hamm und Schleswig) folgten dieser Argumentation und nahmen einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ an.

Wenn der BGH dem folgt, gibt es keinen Schadensersatz. Richterin Menges kündigte an, dass in der schriftlichen Urteilsbegründung genaue Vorgaben zum Verbotsirrtum stehen sollen. Die Begründung soll deshalb schon im Lauf der Woche veröffentlicht werden.

Dritte Hürde ist der Ersatz von Nutzungen. Die Dieselkäufer sollen am Ende nicht besser gestellt sein, als sie es ohne Schaden wären. In speziellen Konstellationen soll vom Schadensersatz deshalb noch eine gewisse Summe für die Nutzung des Fahrzeugs abgezogen werden. Dies kann den Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall auf Null reduzieren.

Über die drei Musterfälle müssen jetzt wieder die Oberlandesgerichte entscheiden.

(Az.: VIa ZR 33r/22 u.a.)

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2 Kommentare

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  • Ich finde die verniedlichende Bezeichnung als „Schummel“-Software ist eine allgemeine Verharmlosung an der die taz nicht teilnehmen sollte.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Vorbildfunktion ... Was da gelaufen ist, hat - wenn auch subtil - wesentlich dazu beigetragen, dass Bürger sich fragen, wer diesen Staat steuert. Konsequenzen kommen je nach Niveau der Verarbeitung der Verhältnisse: Wenn "die sich das erlauben können", kann man* sich auch erlauben, blaun zu wählen.