Urteil zu Windkraft in Norwegen: Schützenswerte Rentierzucht
Das Oberste Gericht in Norwegen erklärt zwei Windparks auf dem Gebiet der Samen für unzulässig. Das Urteil kann Folgen für andere Projekte haben.
Es geht um Storheia und Roan in der mittelnorwegischen Region Trøndelag, die mit einer installierten Leistung von zusammen 543 Megawatt seit 2019 in Betrieb sind. Gegen die staatliche Genehmigung von 2010 hatten zwei Gemeinschaften rentierzüchtender Samen geklagt, deren Tiere ihre Weidegründe in den Gebieten haben, in denen die Windkraftanlagen samt Infrastruktur gebaut wurden.
Dass der Bau und der Betrieb dieser Anlagen einen massiven Eingriff in die Rentierzucht und damit die Lebensgrundlage und Kultur der Samen darstellt, gestand seinerzeit auch die Genehmigung zu. Aber sie ging davon aus, dass der Bau vertretbar sei, wenn den Samen für Mehrarbeit und Mindereinnahmen von den Windkraftbetreibern angemessener Schadenersatz gezahlt würde.
Nachdem es in zwei gerichtlichen Vorinstanzen primär um die Höhe des Schadenersatzes ging, stellte der Oberste Gerichtshof nun in seinem einstimmig ergangenen Urteil klar, dass die Anlagen nie hätten genehmigt werden dürfen.
Wirksames rechtliches Instrument gegen neue Eingriffe
Ihre Einwirkung auf die Kultur der Samen verletze deren Menschenrechte. Es liege ein Verstoß gegen den auch „UN-Zivilpakt“ genannten „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ vor. Dessen Artikel 27 verbrieft einen umfassenden Schutz der Kultur ethnischer, sprachlicher und religiöser Minderheiten.
Der Gerichtshof setzte sich auch mit der Frage auseinander, ob die Energiewende ausnahmsweise einen solchen Eingriff rechtfertigen könnte, verneint das aber: Windkraftanlagen könnten da gebaut werden, wo sie die Rechte indigener Völker nicht verletzten.
Die direkten Konsequenzen des „historischen Urteils“, wie es Adele Matheson Mestad, die Direktorin der Menschenrechtsorganisation NIM nennt, sind noch unklar. „Natürlich müssen die Anlagen jetzt wieder weg“, sagt Eirik Brønner, ein Anwalt der Samen.
Die Regierung in Oslo und der Windkraftbetreiber „Fosen Vind“ wollten sich noch nicht äußern. Eins steht aber fest: Mit dem jetzigen Grundsatzurteil erhalten die Samen, deren Kultur und Lebensgrundlage in den letzten Jahrzehnten durch Industrieprojekte immer mehr zurückgedrängt worden war, ein wirksames rechtliches Instrument gegen neue Eingriffe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin