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Urteil zu Schadensersatz nach ArztfehlerHausbau für behindertes Kind möglich

Das OLG Frankfurt entscheidet: Ärzte müssen bei einer fehlerhaften Betreuung auch Kosten für einen barrierefreien Neubau übernehmen.

Die Eltern hatten nach Geburt ihres Kindes geklagt Foto: Piron Guillaume/Unsplash

Eltern, die wegen eines Arztfehlers ein behindertes Kind bekommen, können als Schadensersatz auch Kosten für den Bau eines behindertengerechten Hauses verlangen. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main in einem jetzt veröffentlichten Urteil.

Die Ärzte hatten in dem Fall auf Wachstumsverzögerungen im Mutterleib unzureichend reagiert und nicht die notwendigen Folgeuntersuchungen vorgenommen. Deshalb blieb zunächst unerkannt, dass das Kind den Gendefekt Trisomie 18 aufwies. Das Mädchen wurde dann mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen geboren. Es konnte seinen Oberkörper und Kopf nicht eigenständig halten, weder essen noch krabbeln und erst recht nicht laufen. Vor allem nachts litt das Kind unter massiven Unruhezuständen. Die Eltern waren sich sicher, dass sie die Schwangerschaft abgebrochen hätten, wenn die Ärzte sie richtig betreut hätten.

Dass die Ärzte im Prinzip schadensersatzpflichtig sind, hatte bereits das Landgericht Wiesbaden 2014 festgestellt. Im jetzigen Prozess ging es nur noch um die Höhe der Kompensation. Umstritten war dabei, ob die Ärzte (bzw. ihre Versicherungen) auch für die Finanzierungskosten eines behindertengerechten Hausbaus in mittlerer fünfstelliger Höhe aufkommen müssen.

Die Eltern argumentierten, dass sie einen ebenerdigen Zugang für das Kind bräuchten. Es sie ihnen nicht zuzumuten, das größer werdende Kind, das nie selbständig laufen werde, ständig in ihre Eigentumswohnung hochzutragen. Auch der Umzug in eine ebenerdige Wohnung sei nicht sinnvoll, weil das Kind nachts so unruhig sei, dass Ärger mit den Nachbarn vorprogrammiert wäre. Mit dem nächtlichen Schreien eines gesunden Kindes sei dies nicht zu vergleichen. Die Eltern hätten nach der Geburt eines zweiten Kindes auch nicht sowieso ein Haus gebaut, denn ihre bisherige Wohnung wäre auch mit zwei Kindern groß genug gewesen. Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hielt die Argumentation der Eltern für überzeugend und sprach ihnen deshalb auch die Zinskosten für das Immobiliendarlehen zu. (Az.: 8 U 181/16)

Für die Folgen einstehen

Im konkreten Fall ging es also nur noch um Details. Dass Eltern den Unterhalt für ein ungewollt geborenes Kind als Schadensersatz verlangen können, wenn ein Arztfehler die Ursache war, hat der Bundesgerichtshof schon 1980 entschieden. Damals ging es um eine falsch ausgeführte Sterilisation. 1983 erweiterten die Bundesrichter diesen Ansatz auf unterbliebene Abtreibungen. Ein Arzt hatte damals nicht erkannt, dass die Schwangere an Röteln erkrankt war, worauf sie ein schwer behindertes Kind gebar.

In den 1980er und 1990er-Jahren sorgten solche Urteile unter den Stichworten „Kind als Schaden“ oder „wrongful life“ für heftige Diskussion. Kritiker sagten: „Ein Kind kann nie ein Schaden sein“. Selbst der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts machte sich diese Sicht (in einer Nebenbemerkung seines Abtreibungs-Urteils von 1993) zu eigen. Doch der zuständige Erste Senat des Verfassungsgerichts entschied den Streit 1997 im Sinne der bisherigen BGH-Linie: Nicht das Kind sei der Schaden, sondern die Unterhaltsverpflichtung. Wer als Arzt eine Sterilisation durchführe oder Schwangere berate, müsse eben sorgfältig arbeiten, sonst habe er für die Folgen einzustehen.

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4 Kommentare

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  • Leider geht aus dem Artikel nicht hervor, ob sich die Familie den Wert der bisher bewohnten Immobilie bei den Kosten für einen Neubau anrechnen lassen muss.

    • @Teermaschine:

      Im konkreten Prozess ging es nur noch um die Finanzierungskosten, weil man sich darüber nicht einigen konnte. Die Beklagten hatten bereits einen Anteil der Herstellungskosten des Neubaus übernommen. Natürlich musste sich die Familie dabei die Kosten der bisherigen Eigentumswohnung anrechnen lassen. Es geht ja um "Schaden"-Ersatz und soweit Baukosten aus dem Verkaufserlös der Wohnung gedeckt wurden, war kein Schaden entstanden.

    • @Teermaschine:

      Wenn es um Kosten "in mittlerer fünstelliger Höhe" geht, können eigentlich nur Mehrkosten gegenüber Standardbauen gemeint sein, die zur behinderungsgerechten Betreuung nötig sind. Ebenerdiges Bauen, barrierefreier Zugang, grosses Badezimmer auch im Erdgeschoss (statt sonst nur bei den Schlafzimmern) mit offener Dusche und eine Badewanne mit Wannenlift , grössere Türen, die auch für einen elektrischen Rollstuhl durchgängig sind, etwas mehr Grundfläche als Verkehrsfläche usw. Würde ich zumindest sagen.

      Ich freue mich für die Eltern, dass sie dieses Urteil durchbekommen haben.

      • @TurboPorter:

        @ Turboporter

        Ja, vielen Dank für den Hinweis. Für einen 5-stelligen Betrag bekommt man mancherorts bestenfalls einen Bauplatz (Wo fand sich noch gleich der Hinweis, dass man beim Konsum der "taz" das Hirn nicht nur eingeschaltet lassen darf, sondern eingeschaltet lassen muss? - Bestimmt auf dem Beipackzettel; und bestimmt auch noch unleserlich klein gedruckt. - Alles "linksversiffte" Verarsche, diese elende Zettelei!):