Urteil zu Flüchtlingslager in Calais:
„Dschungel“ darf geräumt werden
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Urteil zu Flüchtlingslager in Calais: „Dschungel“ darf geräumt werden
Die Behörden dürfen das Lager mit 3.500 Flüchtlingen räumen, so ein Gericht in Lille. Hilfsorganisationen hatten versucht, das zu verhindern.
Mehrere tausend Menschen leben im „Dschungel“ in slumähnlichen Zuständen.
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Lille/Calaisafp/dpa | Die französische Justiz hat die geplante Räumung eines Teils des Flüchtlingslagers in Calais gebilligt. Das Verwaltungsgericht der nordfranzösischen Stadt Lille erklärte ein entsprechendes Dekret am Donnerstag für rechtmäßig, wie aus dem Umfeld der zuständigen Präfektur verlautete.
Damit können die Behörden wie geplant den südlichen Teil des als „Dschungel“ bekannten Lagers am Ärmelkanal räumen. In diesem Abschnitt leben nach Angaben der Behörden bis zu 1000 Flüchtlinge in selbstgebauten Hütten oder Zelten. Hilfsorganisationen sprechen dagegen von rund 3500 Flüchtlingen.
Die Präfektur des Départements Pas-de-Calais hatte den Flüchtlingen bis Dienstagabend Zeit gegeben, den südlichen Abschnitt zu räumen. Flüchtlinge und Hilfsorganisationen versuchten, die Räumung per einstweiliger Verfügung zu verhindern, und zogen vor das Verwaltungsgericht von Lille.
Das Ultimatum der Behörden wurde damit bis zur Entscheidung des Gerichts unwirksam. Nun aber gab das Verwaltungsgericht der Präfektur recht.
„Dschungel“ von Calais geräumt
Ein verbranntes Fahrrad zwischen den Resten des geräumten „Dschungels“ in Calais.
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Die Räumung des Flüchtlingslagers „Dschungel“ im französischen Calais fand mit einem Großaufgebot der Polizei statt.
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Viele beugen sich den Autoritäten ...
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... und lassen sich freiwillig für weiterführende Aufnahmezentren in ganz Frankreich registrieren, ...
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... andere protestieren gegen die Zwangsmaßnahme und werden mit Tränengas zurückgedrängt.
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Einige schauen auf ihr Zuhause zurück und hoffen auf eine bessere Zukunft.
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Der „Dschungel“ galt manchen als größter Slum Westeuropas, anderen als selbstverwaltetes Camp voller Solidarität. Er war wohl beides. Das Lager war eine Ansammlung von Zelten, Hütten und Containern, in denen Flüchtlinge lebten, die vom europäischen Festland nach Großbritannien wollten.
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Zwischen 4.000 und 6.000 Menschen lebten im „Dschungel“ am Rand der französischen Hafenstadt Calais. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Fluktuation war hoch. Vor allem Sudanesen, Eritreer, Afghanen, Iraner, Iraker und Pakistaner drängt es nach Großbritannien – meist weil dort bereits Angehörige und Freunde leben.
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Das Camp in dieser Form gab es seit dem Jahr 2012. Männer, Frauen und Kinder hatten dort eine eigene Stadt aufgebaut – mit einer Kirche, einer Moschee, einem Supermarkt, sanitären Anlagen und einem Fußballplatz. Auch in den Jahren zuvor gab es dort ähnliche Camps, die aber immer wieder auf Anweisung der Behörden zerstört wurden.
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Täglich entstanden neue Unterkünfte. Doch jeder wusste: Niemand kommt nach Calais, um zu bleiben. Wer weiter will, will ...
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... hierhin: zum Eurotunnel und von da nach Großbritannien. Allerdings sind alle Zugänge zum Eurotunnel ...
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... wie auch die Zufahrt zum Fährhafen Hochsicherheitsbereiche. Zäune, manche auch elektrisch geladen, und Natodraht sollen Flüchtlinge fernhalten.
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Hinzu kamen Hundertschaften der Polizei, die immer wieder rigide gegen Flüchtlinge vorgingen.
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Auch Tränengas wurde eingesetzt, um Flüchtlinge von den Zäunen fernzuhalten.
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Das gelang nicht immer und überall. Wer sich einen Platz in einem LKW sicherte oder auf einen fahrenden Güterzug aufsprang, hatte weitere Gefahren vor sich. Viele Flüchtlinge kamen im Tunnel zu Tode, sie wurden überfahren, zerquetscht, fielen vom Zug, wurden Opfer eines Stromschlags oder erstickten.
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Im Jahr 2000 wurden Fahrzeuge, die von Calais aus nach Großbritannien übersetzten, noch geröntgt. Mittlerweile kommen Bewegungssensoren, Wärmetechnologie und Gasmessgeräte zum Einsatz, die den Ausstoß von Kohlendioxid erfassen. Flüchtlinge ziehen sich deswegen Plastiktüten über den Kopf; manche ersticken dabei.
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Längst haben sich Flüchtlinge, die nach Großbritannien wollen, auch andere Wege gesucht, um zum Ziel zu gelangen. Etwa das französische Dunkerque.
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Ein Soli-Graffito des britischen Künstlers Banksy gegenüber der französischen Botschaft in London, das den Tränengaseinsatz gegen Flüchtlinge in Calais kritisiert, wird abgedeckt, ...
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... dabei ist doch klar: Bretter, Zäune, Polizisten, Behördenschikanen, Abrissbagger, Tränengas und Neonazis werden den Traum von einem besseren Leben nicht verhindern.
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Hilfsorganisationen warnen, dass es nicht genug Unterkünfte gebe und die Migranten an andere Orte ausweichen könnten, wo die Lebensbedingungen noch schlechter sind. Belgien kontrolliert bereits an seiner Grenze zu Frankreich, um die Entstehung von Lagern bei sich zu verhindern.
In Calais sammeln sich seit Jahren Menschen, die illegal nach Großbritannien gelangen wollen. Inzwischen sind Ärmelkanaltunnel und Hafen mit hohen Zäunen abgeriegelt.
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