Urteil gegen Ohrlochstecher: Schmerzhafter Schmuck
Die Inhaberin muss einer 3-Jährigen 70 Euro Schmerzensgeld fürs Ohrlochstechen zahlen. Der Richter erwägt, den Fall vor die Staatsanwaltschaft zu bringen.
BERLIN taz Einer Dreijährigen sind 70 Euro „für das Sparschwein“ – so der Richter – zugesprochen worden, nachdem sie durch das Stechen von Ohrlöchern heftige Schmerzen erlitt. Die Eltern des Kindes einigten sich mit der Inhaberin eines Tattoo-Studios am Freitag vor dem Amtsgericht Berlin-Lichtenberg auf einen entsprechenden Vergleich.
Der Zivilprozess ist damit beendet, der Richter erwägt aber, den Fall vor die Staatsanwaltschaft zu bringen. Dabei könnte geprüft werden, ob sich Eltern oder die Studio-Inhaberin wegen Körperverletzung verantworten müssen.
Das Mädchen wünschte sich zu seinem dritten Geburtstag Ohrringe. Um ihrer Tochter den Wunsch zu erfüllen, gingen die Eltern Ende 2011 in ein Tattoo-Studio in Lichtenberg. Die Haut des Mädchens wurde mit einer Salbe betäubt, bevor ihr von zwei Mitarbeitern gleichzeitig die zwei Ohrlöcher gestochen wurden. Die Eltern argumentieren in der Klage, dass bereits die Prozedur sehr wehgetan habe, das Kind hätte geweint und noch drei Tage später bei einem Arzttermin eine traumatische Reaktion gezeigt. Außerdem sei das rechte Ohrloch nicht an der vorgesehenen Stelle gestochen worden.
Deswegen verlangten die Eltern 70 Euro Schmerzensgeld für ihr Kind. Das Tattoo-Studio hat für das Stechen kein Geld verlangt und sich auch in der gerichtlichen Stellungnahme für den Vorfall entschuldigt. Die Inhaberin beteuerte im Schreiben aber, die Eltern im Vorhinein aufgeklärt zu haben, dass das Stechen in diesem Alter besonders schwierig sei.
Die beiden streitenden Parteien einigten sich dennoch, dass die Inhaberin dem Mädchen die 70 Euro für dessen „Sparschwein“ zahlt. Ob Ohrlochstechen Körperverletzung ist, konnte am Freitag nicht beantwortet werden.
Nach der Verhandlung kündigte der Vorsitzende Richter Uwe Kett an, den Fall „wahrscheinlich“ an die Staatsanwaltschaft zu übergeben. Es sagte, es müsse geklärt werden, ob sich die Eltern oder die Studio-Inhaberin strafbar gemacht haben. Es sei zweifelhaft, ob die Einwilligung der Eltern dem Wohl des Kindes gedient habe. Und es sei zu hinterfragen, warum das Tattoo-Studio es nicht ablehnte, bei einem derart jungen Kind Ohrlöcher zu stechen.
Kett bezog sich auch während der Verhandlung immer wieder auf das Urteil des Kölner Landesgerichts im Mai, das religiöse Beschneidung prinzipiell als Körperverletzung wertete. Die Mutter eines Kindes hatte zuvor gegen den behandelnden Arzt geklagt, der die Beschneidung durchgeführt hatte, weil es danach zu Komplikationen gekommen war. „Ich glaube nicht, dass der Fall an den Staatsanwalt weitergeleitet wird beziehungsweise der Staatsanwalt ihn übernehmen wird“, sagt der Anwalt des Mädchens Jens Johnson der taz.
Auch Stefan Richter, Anwalt der Beklagten, sieht keine Parallelen zum Beschneidungsurteil in Köln: „Bei unserem Fall muss das Kindeswohl anders bewertet werden. Die Dreijährige hatte ihren eigenen Willen kundgetan. Sie wollte die Ohrlöcher unbedingt haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau