Urteil gegen Neonazis: "Durch Schläge hervorgetan"
Urteil im Prozess um die Prügel-Nazis von Pölchow: Zwei Rechtsradikale, darunter ein Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag, erhielten Bewährungsstrafen.
Am Dienstag sprach das Landgericht Rostock die Neonazis Michael Grewe und Dennis F. wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch schuldig. Alleine bei Stefan V. sah das Gericht eine Tatbeteiligung bei einem Übergriff am Pölchower Bahnhof auf nicht-rechte Jugendlichen als nicht erwiesen an.
In Pölchow, etwa 10 Kilometer südlich von Rostock, hatten Neonazis etwa 50 Linke, die auf dem Weg zu einer Anti-NPD-Kundgebung waren, verprügelt. Die meisten der Linken waren eigentlich gerade auf dem Fusion-Festival, dort war für die Teilnahme an der Gegenkundgebung mobilisiert worden. Augenzeugen am Rostocker Bahnhof berichten von blutverschmierten, geschockten Schülerinnen, die dem Zug entstiegen.
Heute dann der letzte Prozesstag am Landgericht Rostock. Zur Urteilsverkündung war viel braune Prominenz nach Rostock gekommen: Unter den rund 50 Kameraden der Angeklagten befand sich der NPD-Landtagsabgeordnete Stefan Köster und der "nationale Barde" Frank Rennicke.
Die Kameraden der Angeklagten konnten sich aber offenbar nicht einmal für die kurze Zeit der Gerichtsverhandlung benehmen: Im Foyer warfen die Neonazis einen Feuerlöscher von einer Balustrade. Vor dem Großen Saal randalierten die Nazis weiter: "Die schlugen auf jeden, den sie erreichen konnten", sagte ein Jugendlicher der taz - an seinem Kinn klafft eine blutende Wunde.
Erst die eiligst herbeigerufene Polizei konnte die Situation entschärfen. Nach scharfen Sicherheitskontrollen begann am Rostocker Landgericht dann der Einlass - wie schon am ersten Verhandlungstag. Damals, am 20. Januar, stand die Polizei frühzeitig vor dem Großen Saal.
Die ersten Aussagen von Betroffenen des Angriffes an dem Bahnhof in Pölchow offenbarten die äußerste Brutalität, mit der die Nazis im Juni 2007 vorgingen. "Ich hatte Angst, ich dachte, das überlebe ich nicht", sagt Klaus Maier (Namen aller Opfer geändert). Zögernd schildert der 36-Jährige Maschinenbauingenieur, wie die Nazis unter Rufen wie "Jetzt sind sie dran" in den Waggon drangen und zuschlugen.
Auch Stefan Schmidt fiel es vor Gericht schwer, zu berichten. Auch er wurde geschlagen und über die Böschung geworfen. Der 25-Jährige Schüler redet, ohne es auszusprechen, von Todesangst. "Vor meinen Augen sah ich, wie jeder von Nazis brutal geschlagen wurde und dann in die Nazi-Gruppe vor dem Zug geschubst wurde. Die droschen weiter auf die Leute ein".
An jenem Tag waren Maier und Schmidt vom Fusion-Festival an der Müritz gekommen. Mit etwa 50 Festivalbesuchern wollten sie mit der S-Bahn zu einer Demonstration gegen einen NPD-Marsch in Rostock fahren.
Mit in der Bahn fuhren jedoch auch an die 100 Rechtsextreme, die an dem Marsch teilnehmen wollten, unter ihnen auch NPD-Fraktionschef im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs.
In einem Waggon trafen die Antifaschisten auf ein paar der Neonazis. Die verließen beim Halt in Pölchow nach einem Wortwechsel den Waggon – dann aber begann aus dem hinteren Waggon der Angriff. Die Neonazis versperrten Türen, warfen Scheiben ein und drängten in den Waggon. Im Zug selbst schlugen und traten sie wahllos auf links aussehen Reisende ein. Zogen sie an den Haaren raus, prügelten in Gruppen, teils mit Holzlatten, auf sie ein und warfen sie eine Böschung hinunter.
Die Urteile erfreuten die Kameraden der Angeklagten nicht. An jenem 30. Juni 2007, betonte der Vorsitzende Richter im Großen Saal, "hat sich Herr Grewe durch das Austeilen der Schläge besonders hervorgetan". Grewe, Mitarbeiter der NPD-Faktion in Mecklenburg-Vorpommern, erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, F. wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Mit dem jetzt verkündeten Urteil folgte das Gericht der Staatsanwaltschaft. Für jenen Samstag im Juni 2007, so erklärte die Staatsanwältin bereits, konnte für V. kein Tatbeweis erbracht werden.
Gegenüber der Polizei in Pölchow sprach der NPD-Fraktionschef Udo Pastörs von Notwehr. Diese Behauptung griffen die Verteidiger, unter ihnen der NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski, auf und forderten Freispruch.
Diese Sichtweise der Nazis wurde offenbar auch lange von der Polizei geteilt. Das zumindest glauben die Nebenkläger der Opfer. Als Beleg dient ihnen, dass die Staatsanwaltschaft über ein Jahr gegen "Linke" ermittelte, um dann die Verfahren wegen mangelnden Tatverdachts einzustellen.
Tim Bleis von Lobbi (Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt) wird deutlicher: "Durch diese schlampigen Ermittlungen kommen die Täter gut weg". Ein neuer Schlag für die Betroffenen. Für die Mehrheit der Schläger, hebt Bleis gegenüber der taz hervor, blieben zudem die Gewalttaten folgenlos. Sie wurden nicht ermittelt.
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