Ursula Schönberger über Atommüll: „Das sind Taschenspielertricks“
In Deutschlands einzigem genehmigten Endlager soll doppelt soviel radioaktives Material eingelagert werden wie bisher geplant, sagt Ursula Schönberger vom Atommüllreport.
taz: Frau Schönberger, mit dem „Nationalen Entsorgungsprogramm“ hat die Bundesregierung eingeräumt, dass Deutschlands Atomindustrie viel mehr strahlendes Material produziert als bisher zugegeben. Die Menge an schwach- und mittelradioaktivem Atommüll hat sich verdoppelt. Sind Sie überrascht?
Ursula Schönberger: Nein, überhaupt nicht. Auf unserer Internetseite atommuellreport.de haben wir diese Mengen schon vor einem Jahr standortscharf aufgelistet. Neu ist lediglich, dass sich die Regierung erstmals bereit erklärt, sich um diese Mengen radioaktiven Materials auch kümmern zu wollen – übrigens nicht freiwillig, sondern auf Druck der EU.
Der Sprecher des Bundesumweltministeriums erklärt, man wolle sich „ehrlich machen“. Ist das nicht skandalös?
Seit Jahrzehnten wäre es die Pflicht des Ministeriums gewesen, die von uns durchgeführte Bestandsaufnahme zu erstellen. Diese wurde unter anderem vom Bundeskanzleramt, dem Bundesumweltministerium und der Endlagerkommission angefordert. Umso verstörender sind die dünnen Informationen, die das Bundesumweltministerium immer noch liefert.
Warum?
Aufgelistet werden nur Atommüllmengen in Kubikmetern und Tonnen, nicht aber die damit verbundenen Probleme. Dabei tropft etwa im AKW Brunsbüttel an der Elbe radioaktiv verseuchte Flüssigkeit auf den Boden der dortigen Kavernen. Bundesweit gibt es offenbar mehr als 2.000 solcher undichter, maroder Fässer. Trotzdem findet sich im „Nationalen Entsorgungsprogramm“ kein Wort dazu, wie die geborgen und gesichert werden sollen.
Woher stammt der Atommüll?
Der bisher von der Regierung eingeräumte Teil stammt aus den AKWS, staatlichen Forschungseinrichtungen und der kerntechnischen Industrie – das sind etwa 300.000 Kubikmeter. Neu ist, dass jetzt auch über das Material im langsam absaufenden sogenannten „Forschungsbergwerk“ Asse bei Braunschweig und den Müll der Urananreicherungsanlage in Gronau im Münsterland nachgedacht wird. Das sind noch einmal 300.000 Kubikmeter. Insgesamt sprechen wir also über die doppelte Menge, die der Schacht Konrad bei Salzgitter als bisher einziges genehmigtes deutsches Endlager aufnehmen kann.
52, Politikwissenschaftlerin.
Arbeitet am "Schacht Konrad"-Standort Salzgitter als
Redakteurin für
die Online-Dokumentation
In Hannover ist schon zu hören, die Kapazität von Schacht Konrad sei von Grünen und SPD nur aus politischen Gründen auf 300.000 Kubikmeter begrenzt worden, um Atomkraftgegner zu besänftigen.
In Schacht Konrad soll offenbar die doppelte Menge Atommüll gelagert werden als bisher genehmigt. Dabei lassen dies die geltenden Sicherheitsnachweise überhaupt nicht zu – doch die will der Bund offenbar durch Taschenspielertricks umgehen.
Inwiefern?
Schon heute heißt es im Entsorgungsprogramm, erst nach „Inbetriebnahme des Endlagers Konrad“ solle geprüft werden, ob Atommüll aus der Asse oder aus Gronau gebracht werden kann. Damit ist nicht nur der Widerstand vor Ort geringer – schließlich wird bereits eingelagert. Vermieden werden auch Diskussionen mit dem Land Niedersachsen: Ist Konrad erst einmal als Endlager in Betrieb, führt nicht mehr das Umweltministerium in Hannover, sondern das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung die Aufsicht. Die Beamten des Bundesumweltministeriums müssten sich also nicht mehr mit Niedersachsen herumstreiten, sondern könnten einer eigenen nachgeordneten Behörde Anweisungen erteilen.
Ist es denn wahrscheinlich, dass die marode Asse geräumt werden kann, bevor die Schächte mit Wasser volllaufen?
Die Asse ist als Forschungsbergwerk konzipiert worden. Die Aufgabe ist jetzt, den dort gelagerten Atommüll wieder rückholbar zu machen, sonst gelangt radioaktives Material irgendwann unkontrolliert in die Biosphäre – dabei lagert dort auch Plutonium, das schon in kleinsten Mengen tödlich ist.
Und Gronau?
Die Urananreicherung steht für Deutschlands Fähigkeit, innerhalb weniger Wochen genug spaltbares Material für den Bau einer Atombombe herstellen zu können. Aktuell hat die Anlage eine unbefristete Betriebsgenehmigung, ebenso wie die Brennelementefabrik im benachbarten Lingen an der Ems. Beide produzieren weiter Atommüll und müssen deshalb schnell stillgelegt werden – denn ein Atomausstieg, der die Produktion von immer neuem Atombrennstoff zulässt, ist keiner.
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