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Urbane Kristallwolke

Nachdem Guggenheim sein Franchise-System in Lyon nicht mehr erproben wollte, entsteht jetzt ein Museum aus dem Coop-Himmelb(l)au-Baukasten

Dem althergebrachten Museum darf nun endgültig Adieu gesagt werden

von HANS VON DER BRELIE

In Lyon, am Ufer der Rhône, wird ein Raumschiff anlegen. Die Hülle des Weltallgleiters im sportiven Turbo-Design ist aus Glas und Zink. Es handelt sich um einen Star-Trek-Transporter der Jumbo-Klasse: 22.000 Quadratmeter groß! Die Rede ist von dem geplanten Museum für Wissenschaft und Technik, wobei „Museum“ möglicherweise nicht den Kern trifft: Erlebnis- und Event-Säle wäre ein passenderer Ausdruck für das Großprojekt. Schließlich soll das futuristisch geschnittene Riesengebäude nicht nur äußerlich, sondern auch inhaltlich überkommene Museumskonzeptionen über den Haufen werfen.

Gewinner des international ausgeschriebenen Wettbewerbs ist die österreichische Architektengruppe Coop Himmelb(l)au. Das Team aus Wien sorgt seit Ende der Sechzigerjahre für Aufsehen in der Architekturszene. Sieben Entwürfe hatte die Jury in die nähere Auswahl gezogen: darunter der New Yorker Stararchitekt Peter Eisenman, Jacques Ferrier aus Paris oder der in New York niedergelassene Steven Holl sowie die Lyoner Gruppe Tectoniques Architectures. Die Modellbauer von Coop Himmelb(l)au hatten die wohl spielerischste Idee. Sie nannten ihr Projekt „Kristall-Wolke“. Der Baukörper besteht aus zwei Teilen: einer horizontalen Wolkenform, die zwölf Meter über dem Erdboden zu schweben scheint. Und aus einer scharfkantig geschliffenen Kristallform, die Licht in das Museum leitet. Einige Elemente kennt man schon von anderen Himmelb(l)au-Projekten: Ähnlich wie bei dem 2000 fertig gestellten Wissenschaftszentrum Wolfsburg wird man auch unter dem flachen Bauch des Lyoner Raumgleiters promenieren können; oder skaten, breaken, rollern . . .

Ein Doppelkegel durchstößt das Gebäude im Winkel der Erdrotationsachse mit einer Neigung von 23,5 Grad. Der gläserne Innenkegel ist Teil der Ausstellungsfläche. Der Außenkegel dient als Rampe, von der aus man einen Blick in die museale Vitrine werfen kann. Dabei ist das Innere des Museums ganz klar gegliedert. Nicht Mauern oder Wände trennen die einzelnen Ausstellungskapitel voneinander – sondern Lichtinseln. Zwischen den bis zu 16 Meter hohen Expo-Sälen gibt es Ruhezonen, in denen man sich auch mal kurz aufs Ohr legen kann. Dem althergebrachten Museum darf Adieu gesagt werden; „urban leisure space“ ist angesagt, erklärt das Wiener Team von Coop Himmelb(l)au sein Konzept.

Die Kristall-Wolke wird mitten im Herzen von Lyon vor Anker gehen, auf der so genannten Prèsque Ile, der aus den Flüssen Rhône und Saône gebildeten zentralen Halbinsel der Großstadt. Der zweitplazierte Entwurf von Peter Eisenman ging auf diese geografische Situation sehr viel besser ein als Himmelb(l)au. Eisenman schlug zwei geknickte, aluminiumbeschichtete, 70 Meter hohe Türme vor, deren gewellte Außenhaut an die Wasseroberfläche der beiden Lyoner Flüsse erinnern sollte. Die Besucher wären auf Rollsteg-Röhren von einer Turmetage hinüber zur anderen gependelt – Anspielung auf die „Traboules“, die steil getreppten Passagendurchgänge des Lyoner Weberviertels Croix Rousse.

Doch genau dieses ständige Unterwegssein der Besucher missfiel der Jury; Eisenmans Entwurf landete in der Schublade – das Raumschiffmodell aus dem Himmelb(l)au-Baukasten bekam den Zuschlag. Eigentlich hatten sich die Stadtplaner an dieser zentralen Stelle des Stadtbildes ja einen Ableger der Guggenheim-Stiftung ausgemalt und dabei neidisch auf die Erfolgsgeschichte des entsprechenden Museums im spanischen Bilbao geschielt. Dann zog Guggenheim zurück.

Als die Träume der Tourismusmanager platzten, entschied man flugs, statt eines modernen Kunstmuseums einen noch moderneren Techniktempel zu errichten. Auf einmal musste alles hopplahopp gehen: Ausschreibung des Wettbewerbs im Frühsommer, Abgabetermin im Frühherbst 2000. Offenbar geht es weniger um originäre Inhalte, denn vielmehr um austauschbare Erlebniskultur. Der luxuriöse Beitrag zur Spiel- und Spaßgesellschaft soll die europäischen Besucherströme Richtung Lyon kanalisieren.

Museumsdirektor Michel Coté, vor kurzem frisch aus dem frankofonen Teil Kanadas nach Lyon eingekauft, denkt dabei an Themenausstellungen, die aus der Reihe fallen. Einige Beispiele hierfür hat er in seinen ersten Lyoner Monaten bereits im alten Naturkundemuseum geliefert. Dort, wo sonst Steinsammlungen und Dinosaurierskelette Staub ansetzten, überraschte der Kurator Coté mit einer zwischen volkskundlichem Amüsement und populärwissenschaftlichem Anspruch angesiedelten Ausstellung über verrückte Kühe und BSE. Es durfte gelacht und gelernt werden. Derzeit schickt der Museumsmann die Lyoner auf den Mond – ebenfalls mit einer Ausstellung.

Die Richtung für das neue Wissensmuseum ist damit vorgezeichnet. Das 400 Millionen Franc teure Vorzeigeprojekt setzt auf die breite Begeisterungsfähigkeit der Internet-Generation. Knöpfedrücken, Anschaulichkeit, Erfassbarkeit, Befühlen – kurz: „Interaktivität“ ist das Angebot der Stunde. Die Bauarbeiten beginnen schon im kommenden Jahr. 2005 wird das Technik- und Wissenschaftsmuseum eröffnet. Die Regionalpolitiker und Museumsmacher hoffen auf eine halbe Million Besucher jährlich. Die Wette gilt.

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