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Uraufführung von „Ellbogen“Flucht nach Istanbul

Das Schauspielhaus Düsseldorf startet mit einer Theaterfassung von Fatma Aydemirs Romandebüt, einer rasanten Coming-of-Age-Story.

Lou Strenger und Cennet Rüya Voß in „Ellbogen“ Foto: Lucie Jansch

Vor sieben Jahren sorgten der Regisseur Nurkan Erpulat und der Dramaturg Jens Hillje mit der Inszenierung „Verrücktes Blut“ für Furore in der Theaterwelt, denn sie stellte prekäre Migranten-Pubertierende auf die Bühne als nervtötende, gewaltbereite Möchtegernmachos. Das Stück wurde vielfach nachgespielt und kassierte Auszeichnungen.

Etwas Vergleichbares erhofft man sich wohl in Düsseldorf, wo nun Jahn Gehler – durch die noch erfolgreichere Uraufführung von „Tschick“ abonniert auf Coming-of-Age-Geschichten – die Romanadaption von „Ellbogen“ auf die Bühne bringt. Gespielt wird in der Ersatzspielstätte Central.

Das Romandebüt von Fatma Aydemir sorgte im Frühjahr für Aufsehen, denn die Autorin schildert in ihrem aus der Ich-Perspektive erzählten Roman die Geschichte einer gescheiterten Selbstfindung in der engen Welt einer türkischen Mädchen-Gang. Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin ist Hazal Akgündüz, eine junge Deutschtürkin, die tagsüber in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme die Zeit absitzt und aussichtslose Bewerbungen schreibt und danach in der Bäckerei ihres Onkels aushilft. In ihrem lieblosen, traditionellen Elternhaus haben die Mädchen zu gehorchen, und dort wird Erdoğan abgöttisch verehrt.

„Muschis“ und „Opfer“

Das Theaterstück

Am 15. September feierte im Schauspielhaus Düsseldorf die Bühnenadaption von Fatma Aydemirs Roman „Ellbogen“ unter der Regie von Jan Gehler Premiere. In ihrem Debütroman erzählt Aydemir, die als Redakteurin und freie Journalistin in Berlin lebt und arbeitet, eine Coming-of-Age-Geschichte zwischen Berlin-Wedding und Istanbul. Weitere Termine unter www.dhaus.de

Hazal hat sich damit eingerichtet: „Ich meine, das Erste, was ich nach dem Sprechen gelernt habe, war das Lügen“, sagt sie. Nachts skypt sie mit Mehmet, einem Deutschtürken, der wegen diverser Delikte abgeschoben wurde und sich nun in Istanbul durchschlägt. Ansonsten hängt sie mit drei Freundinnen ab, mit denen sie kifft und starke Sprüche klopft. Da ist dann die Rede von „Muschis“ und „Opfern“, die Sprache der Girlie-Gang unterscheidet sich nicht im Geringsten von der junger migrantischer Männer.

Die Delikte sind zunächst noch harmloser Natur, wie ein Lippenstiftklau. Dann aber will Hazal ihren achtzehnten Geburtstag mit ihren Freundinnen im Berliner Club Berghain feiern, wird an der Tür aber abgewiesen. Auf dem Rückweg eskaliert in der U-Bahn-Station der Frust: Das inzwischen betrunkene Quartett trifft auf einen ebenso betrunkenen Studenten, dessen ungeschickte und provozierende Anmache sie grausam rächen. Sie schlagen ihn nieder und Hazal schubst ihn auf die U-Bahn-Gleise. Am nächsten Tag flieht sie zu ihrem Facebook-Freund Mehmet nach Istanbul.

Ihre Tante Semra, eine Sozialarbeiterin, will sie nach Deutschland zurückholen und ermuntert sie, sich den Strafbehörden zu stellen, aber Hazal weigert sich. Dann bricht die große Politik in Hazals Schicksal ein, nun bildet der Putsch gegen ­Erdo­ğan das Hintergrundrauschen für ihren langen Schlussmonolog, dessen letzter Satz „Ich öffne die Augen, sehe ein Stück Nacht und lächle mir selbst zu“ auch der Schlusssatz des Romans ist.

Das Prekäre über die Rampe bringen

Kühn in der Setzung, dass Gewalt nicht nur männlich ist, ist dieser Stoff. Klug in vielen Beobachtungen, scharfsinnig in den Zuspitzungen und sprachlich stellenweise brillant. Immer dann nämlich, wenn die Macker-Sprache verstummt. Womit wir beim Problem des Romans und des Theaterstücks gleichermaßen wären. Die Darstellung eines prekären, gewaltaffinen Milieus glückt in der Kunstsprache ebenso selten wie auf der Bühne. Es liest sich im Roman ebenso gewollt, wie es auf der Bühne gemacht wirkt.

So gelingt es der Inszenierung nicht, dem eruptiven Gewaltausbruch der Mädchen, die sich ansonsten über Lippenstifte und rasierte Beine unterhalten, Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das wäre aber dramaturgisch nötig, um die Flucht nach Istanbul und damit die politische Ausweitung des Horizonts glaubwürdig zu machen.

Robert Koall hat Aydemirs Roman schnörkellos adaptiert, und ebenso sachdienlich stellt Jahn Gehler das Geschehen auf die karg möblierte Bühne. Ein doppelstöckiger Turm aus riesigen Verstärkern dient als Hintergrund und wird immer wieder erklettert, ein Vorhang aus Glühbirnen kommt später hinzu. Vier Schauspielerinnen übernehmen die Rollen, sprechen manchmal Hazals Text auch chorisch. Cennet Rüya Voß gibt Hazal mädchenhafte, die harschen Texte manchmal Lügen strafende, zarte Töne und macht die Figur dadurch interessanter, als sie angelegt ist.

Umso unglaubwürdiger wirkt dann die dramaturgische Keule des Totschlags in der U-Bahn. Lou Strenger, Florence Schüssler und Tabea Bettin sind Voß’ Intensität ebenbürtig und mühen sich redlich, das Prekäre über die Rampe zu bringen. Aber es bleibt, wie so oft bei solchen Versuchen, das taube Gefühl des Gemachten auf der Zunge zurück.

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