Updates elektronischer Musik: Wie ein Schwamm
Die Produzenten Laurel Halo, Lucrecia Dalt und Oneohtrix Point Never legen tolle neue Alben vor. Sie etablieren ihren Sound auf der Bühne ohne Reibungsverluste.
Musik wie in einem Zukunftsroman von J. G. Ballard: Die große Sonne trommelt immer greller und füllt den ganzen Himmel aus. Nagende Hitze und opaleszierender Glanz erschweren die menschliche Existenz. Im Angesicht des Zerfalls mag himmelsgerichteter Optimismus nicht unbedingt das Naheliegende sein.
Doch genauso willensstark mutet der pochende Sound von Laurel Halo auch an. „Chance of Rain“ heißt das neue Album der New Yorker Produzentin. Es zeigt sie auf der Höhe ihres Schaffens. Eigentlich bekundet Laurel Halo mit ihrer elektronisch generierten Musik gerade die Negation von Schulter-klopfender-Euphorie und Dauer-Affirmation, wie sie ansonsten mit Clubsound gleichgesetzt wird. So beiläufig, aber auch unterschwellig aggressiv wie der Albumtitel „Chance of Rain“ klingt, so energisch, pulsierend und unheilvoll sind die neun Tracks geraten. Ambient ist hier nur noch eine Schutzbehauptung für Darkwave.
In Wahrheit hat Laurel Halo die dystopischen Potenziale ihrer Hardware angesteuert und einen funkelnden und fiependen Gesteinsbrocken aus riffartigen Tönen, mesmerisierendem Tuckern und Zischeln erschaffen. Gerade noch kontemplativ, aber schon weit draußen. Die Musik kommt dem nahe, was der US-Soziologe Alvin Toffler einmal „Future Shock“ genannt hat, ein Zivilisationskrankheitsherd, verursacht durch Stress und Umstellungsschwierigkeiten, den ständige Updates mit sich bringen.
Lucrecia Dalt: „Syzygy“ (Human Ear Music/Cargo), live am 24. Oktober, Volksbühne, Berlin; 25. Oktober, UT Connewitz, Leipzig; 7. November, Gebäude 9, Köln.
Laurel Halo: „Chance of Rain“ (Hyperdub/Cargo).
Oneohtrix Point Never: „R Plus Seven“ (Warp/Rough Trade), live am 4. Oktober im Berghain, Berlin.
Laurel Halo ist Virtuosin genug, um ihre Musik live aufzuführen, sie kreiert mit Keyboard und Sequenzer auf einer Bühne beeindruckende Klangwelten. Aber sie vergisst dabei nie, die Anstrengung zu erwähnen, die dieses Alertsein mit sich bringt.
Die Musik sei inspiriert von einem Aufenthalt im Berliner Winter und der intensiven Erfahrung von Techno und Dubstep im Kontext mächtiger Soundsysteme, hat sie kürzlich erzählt. Arrangiert wurde das Material wiederum Zuhause in New York, in einem klaustrophobisch kleinen Zimmer mitten im spannungsgeladenen und angsterfüllten Alltag von Manhattan.
Die Skyline als Friedhof
„Mir kommt die Skyline inzwischen wie ein Friedhof vor. Meine Musik ist dazu da, dass ich mit ihr einen flüchtigen Blick raus in die Zukunft wagen kann.“ Wenn sie vor ihren Maschinen sitzt, versucht sie der unendlichen Gegenwart durch eine „Out-of-Body-Experience“ zu entfliehen. Laurel Halos torkelnden und taumelnden Beats, ihre zuckenden Hooks und schlierigen Hallfahnen reichen über bloße Funktionalität hinaus. Eine deutliche Absage an digitale Realitäten und korporative Klangwelten.
„Haben Sie es eilig? Sehen Sie, je dichter Verknüpfungen und Oppositionen, desto mächtiger das Syzygy.“ Eine kryptische Anmerkung auf der Rückseite des Plattencovers. Die Songtitel sind in spiegelverkehrter Schrift angebracht. Auf der Frontseite das Foto zweier Hände, die an einer Wand Schatten werfen. „Syzygy“ ist ein Begriff aus der Typologie des Schweizer Psychiaters C.G. Jung. Was hat dessen Theorie seelischer Archetypen mit den entgegengesetzten musikalischen Elementen von Lucrecia Dalt zu tun?
Empfohlener externer Inhalt
Gerade noch Pop
Jedenfalls wirkt das Rätselhafte und Traumschöne der in Barcelona lebenden kolumbianischen Künstlerin auf ihrem zweiten Album „Syzygy“ beflügelnd. Fiebrig und jenseitig, aber auch bedächtig und vorsichtig tastend geht sie zur Sache. Es ist so gerade noch Popmusik, die in den Boxen ankommt, durch Filter gedämpft, mit Feedback verstärkt und in Loops beschleunigt.
Ab und an erinnern Störgeräusche daran, dass es noch eine Außenwelt gibt. Ansonsten regiert das konzentrische Wummern von Dalts Bass (ihr Signalinstrument) und ihre zarte, in ferne Echos getunkte Flüsterstimme. Sie bilden die Basis für allerlei altruistische Gedanken. Im Booklet wird etwa Walter Benjamin und Ingmar Bergman dafür gedankt, „dass sie während der Aufnahmen Geist und Raum mit delikatem Inhalt gefüllt haben“. Lucrecia Dalt ist angekommen in der alten Welt und zeigt sich mit „Syzygy“ befreit von den Entbehrungen der Diaspora.
In Kobe-Rind-Fassung
„Sie bekommen jetzt die Kobe-Rind-Fassung meiner Gedanken.“ Wenn Daniel Lopatin ins Reden gerät, kann es abendfüllend werden. Aber eben auch spannend. Dann erklärt der New Yorker, wie eine marxistische Kritik an seinem Projekt Oneohtrix Point Never lauten könnte. „Er pfropft sein Image und seine Persönlichkeit (Kapitalismus) auf seinen Synthesizer (Produkt).“ Wer sich das gefallen lässt, und das sollte man unbedingt, erlebt mit seinem neuen Album „R plus 7“ Oneohtrix Point Never in seiner Kobe-Rind-Phase.
Musikalische Entsprechung von TV-Zapping
Es ist eine elektronische Musikcollage in perversester Veredelung. Wie ein Schwamm saugt Lopatin aus dem Netz Soundfiles, Werbeclips auf YouTube, Firmenvideos und mehr. Dann seziert er den Soundmüll, zerkleinert ihn, formt Samples und spuckt daraus Harmoniecluster aus. So entstehen zerrupfte Melodien, die dem Klangfetzen-Rhythmus von TV-Zapping ähneln. „R Plus 7“ schüttet die Lücken zwischen Aufmerksamkeitsdefiziten und Stimmungstrigger-Overkill im Netz mit feuerfesten Materialien zu.
„R Plus 7“ sei die musikalische Entsprechung des Romans „Das Leben Gebrauchsanweisung“ des experimentellen französischen Schriftstellers Georges Perec. Dafür sammelte Lopatin im Netz technische Daten aus interaktiven Literaturseiten, Gebrauchsanweisungen und Katalogtexten, ließ sie von Roboterstimmen einsprechen und speiste diese als Samples wieder in die Musik ein.
Empfohlener externer Inhalt
Irre, dass die synthetischen Einzelspuren hernach von dem isländischen Kammerpop-Spezialisten Valgeir Sigurdsson auf einem analogen Mischpult produziert wurden. Oneohtrix Point Nevers Musik wirkt kaputt und kompliziert zugleich, nie naturbelassen. „So entsteht eine Art Surrealismus, er ist sehr statisch und sehr klar.“
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