: Unterschätztes Blut
Menstruationsblut könnte helfen, Krankheiten besser zu erkennen. Bisher blieb das Potenzial ungenutzt. Aber nun wird an Binden geforscht, die wie Coronatests funktionieren
Von Katharina Federl
Oma steckt im Verkehr fest. Die rote Kuh wurde geschlachtet. Es regnet auf der Farm. Tante Flo ist angekommen. Die Maler sind im Treppenhaus. Es ist mal wieder Erdbeerzeit!
Menschen werden beeindruckend kreativ, wenn es darum geht, etwas zu verschleiern, was gemeinhin als ekelhaft und peinlich gilt. Dabei könnte es so einfach sein. Zwei Wörter, keine Beschönigungen: Ich blute. „Wo denn?!“, könnte die – ja, doch, irgendwie schon – berechtigte Rückfrage lauten. Zum Glück gibt es ein paar Alternativen, um solche Missverständnisse von vornherein aus dem Weg zu räumen: Ich habe meine Periode. Ich menstruiere. Aus meiner Vagina kommt Blut.
Um genau zu sein, sind es im Durchschnitt knapp 90 Milliliter Blut, die eine menstruierende Person pro Zyklus verliert. Damit könnte man ungefähr neun Röhrchen füllen, wie man sie von Blutabnahmen kennt. Oder einen halben Plastikbecher, in dem man sonst Urin zur Probe abgibt. Sich Menstruationsblut in Gefäßen vorzustellen, die später ins Labor geschickt werden, mag sich ungewohnt anfühlen. Bei Flüssigkeiten wie venösem Blut, Urin oder Speichel kennen wir das Spiel: Wir entnehmen sie unserem Körper, um ihn auf Entzündungen und Krankheiten untersuchen zu lassen. Menstruationsblut aber landet direkt im Müll oder Abwasser. Verkennen wir damit möglicherweise eine wertvolle und leicht zugängliche Ressource?
Menstruationsblut ist nicht gleich venöses Blut. Denn bei einer Menstruation werden auch Teile der Gebärmutterschleimhaut ausgeschieden. Diese baut sich zu Beginn eines jeden Zyklus auf, damit eine befruchtete Eizelle es sich darin gemütlich machen kann. Passiert das nicht, stößt der Körper das Gewebe durch schwache und starke, kurze und lange Kontraktionen wieder ab. Was beim Blick in die Unterhose nicht erkennbar ist: Hunderte von Proteinen, Zellen und Hormonen tummeln sich darin. Laien würden sie unter dem Mikroskop vielleicht als Spiegeleier oder verknotete Schwimmnudeln erkennen.
In ihnen sehen immer mehr Expert*innen nun enormes Potenzial für die medizinische Forschung. Denn je nachdem, in welcher Konzentration diese Proteine und Zellen im Menstruationsblut vorkommen, kann das Aussagen über den Zustand eines Körpers treffen. Sie dienen dann als Biomarker, also als Merkmale zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten. Würden sie im Menstruationsblut gezielt untersucht, könnten gynäkologische Erkrankungen und sogar Tumore früher und ohne aufwendige invasive Eingriffe erkannt werden.
Das sagt auch ein Forschungsteam der Technischen Hochschule in Zürich, das sich kürzlich mit einer außergewöhnlichen Menstruationsbinde an die Öffentlichkeit wandte. Das Prinzip dahinter ähnelt dem eines Corona-Schnelltests: Betroffene menstruieren in die Binde und analysieren die dort integrierte Testfläche anhand von unterschiedlich stark sichtbaren Farbstreifen. Das geht auch mithilfe einer App. Je nach Intensität der Streifen zeigt sie an, ob bestimmte Proteinwerte im Blut erhöht sind. Das soll Hinweise auf mögliche Entzündungen oder Krebserkrankungen liefern. Nach einer ersten erfolgreichen Machbarkeitsstudie wird aktuell in einer Untersuchung getestet, wie gut sich die Technologie im Alltag bewährt.
Der Ansatz aus der Schweiz ist nicht neu. Bereits Anfang 2024 wurde eine Binde von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde zugelassen, die Menstruationsblut in einem Teststäbchen auffängt. Hier ging es allerdings nicht um die Erkennung von gynäkologischen Erkrankungen, sondern um die Messung von Blutzucker, genauer: um das Protein Hämoglobin A1c. Dieses zeigt an, wie hoch der durchschnittliche Blutzuckerspiegel der letzten zwei bis drei Monate war – ein wichtiger Parameter zur Diagnose von Diabetes.
Aber können Proteine wirklich verlässlich über gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose informieren? Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriosezentrums der Charité in Berlin, sieht das kritisch. Das Protein CA-125 zum Beispiel, das oft mit Endometriose, aber auch mit Eierstock- oder Gebärmutterhalskrebs in Verbindung gebracht wird, sei zwar zuverlässig erhöht, wenn Zysten vorhanden seien oder die Endometriose weit fortgeschritten sei. Fällt der Wert aber normal aus, schließe das die Erkrankung nicht zwingend aus.
Trotzdem habe Menstruationsblut durchaus Potenzial, Hinweise auf Endometriose zu geben, so Mechsner. Hoffnung setzt sie in die Analyse von darin enthaltenen Stammzellen. Endometriose ist eine weit verbreitete Erkrankung, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutterhöhle wächst. Wie viele andere Expert*innen geht Mechsner davon aus, dass sich bei Endometriose Stammzellen aus der Gebärmutter durch deren Bewegung lösen und an andere Stellen im Körper gelangen, zum Beispiel in den Bauchraum oder in die Eierstöcke. Dort siedeln sie sich an und bilden die typischen Endometrioseherde, die auf Hormone reagieren und häufig starke Schmerzen auslösen.
Auch solche Stammzellen werden mit dem Menstruationsblut ausgespült. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass sich die Stammzellen von gesunden Personen von jenen mit Endometriose unterscheiden. Doch diagnostische Tests, die auf diesen Unterschieden aufbauen, sind bis heute nicht auf dem Markt. Wie kann das sein?
Die Antwort darauf ist vielschichtig und bezieht sich gleichzeitig auf ein zentrales Problem: Erkrankungen, die fast ausschließlich Menschen mit Gebärmutter betreffen, haben für die Medizin geringe Priorität. Laut einer auf die USA bezogenen Untersuchung der Fachzeitschrift Nature beispielsweise, erhalten Migräne, Endometriose und Angststörungen, von denen Frauen überproportional betroffen sind, im Verhältnis zu ihrer Belastung für die Bevölkerung viel weniger Fördermittel als andere Erkrankungen. Das führt dazu, dass selbst vielversprechende Befunde – wie die aus Pilotstudien mit Menstruationsblut – nicht in große, reproduzierbare Studien überführt werden können. Weil das Geld fehlt. Und damit die Voraussetzung für die Entwicklung klinischer Tests.
Überhaupt wurden Frauen bis in die frühen Neunzigerjahre systematisch aus klinischen Studien ausgeschlossen. Bis heute kommen Personen, die keine Cis-Männer sind, viel weniger in ihnen vor. Erkenntnisse zu Krankheitssymptomen oder Nebenwirkungen von Medikamenten basieren deshalb vor allem auf männlichen Körpern. Das Ergebnis: Weltweit verbringen Frauen im Schnitt 25 Prozent mehr Zeit ihres Lebens in schlechter Gesundheit als Männer. Staatliche Förderprogramme wollen das ändern und setzen sich zum Ziel, den sogenannten Gender Data Gap in der klinischen Forschung zu verringern.
Warum tut meine Blutung so weh? Wieso kommt sie so unregelmäßig? Viele Betroffene von gynäkologischen Erkrankungen suchen jahrelang vergeblich nach Antworten auf solche Fragen. Kein Wunder, dass gerade Unternehmen boomen, die laut und selbstbewusst versprechen, sie parat zu haben. „Es gibt mittlerweile einige Start-ups, die aggressiv mit überteuerten Tests werben, ohne genügend wissenschaftliche Daten zu liefern“, kritisiert Endometriose-Forscherin Sylvia Mechsner. Als Beispiel nennt sie ein deutsches Start-up, das seit 2022 einen Test entwickelt, der aus Menstruationsblut unter anderem den Hormonspiegel bestimmen soll, mit dem Versprechen, innerhalb von wenigen Tagen Informationen zu Fruchtbarkeit oder früher Menopause zu liefern.
Ob Menstruationsblut Aussagen über die Fruchtbarkeit treffen kann, kann die Wissenschaft zum jetzigen Stand weder belegen noch widerlegen. Eine, die sich seit rund 15 Jahren mit genau dieser Frage beschäftigt, ist Renate van der Molen, medizinische Immunologin von der Radboud-Universität in den Niederlanden. In ihrer Arbeitsgruppe untersucht sie Immunzellen aus dem Menstruationsblut und vergleicht sie mit Gewebeproben aus der Gebärmutterschleimhaut. Ihre Studien zeigen, dass die aus dem Menstruationsblut gewonnenen Zellen eine deutliche Ähnlichkeit mit denen aufweisen, die aus Gewebeproben stammen. Sollte sich das in anderen Studien bestätigen, könnten invasive Eingriffe zur Erkennung von Entzündungen oder Krankheiten der Gebärmutter nicht mehr unbedingt notwendig sein.
In Regionen, in denen der Zugang zu gynäkologischer Vorsorge eingeschränkt ist, könnte das eine große Erleichterung für Betroffene bedeuten. Viele gynäkologische Erkrankungen können bislang nur mit invasiven Eingriffen festgestellt werden. Das führt dazu, dass Betroffene häufig ihr Leben lang im Ungewissen bleiben.
Kritiker*innen von Menstruationsblutproben argumentieren damit, dass die Menge und Zusammensetzung des Blutes von Person zu Person stark variiert: Manche Periode ähnelt einem Wasserfall, mit dem selbst XXL-Tampons überfordert sind. Andere verlieren ihr Blut wie ein undichter Hahn sein Wasser – und finden nach mehr als einer Woche noch Flecken in ihrer Hose. Auch Renate van der Molen sagt, es seien noch mehr Studien notwendig, um die Schwankungen über die verschiedenen Menstruationszyklen hinweg sowie deren Auswirkungen auf die Zellproben zu untersuchen. Allerdings sagt sie auch: „Weil es diese Unklarheiten gibt, werden nötige Studien nicht finanziert und es ist sehr schwierig, als Forscherin in diesem Bereich Fördermittel zu erhalten. Es ist leider ein Teufelskreis.“
Das mussten auch Forschende aus Australien erkennen, die 2017 eine Studie veröffentlichten, die sich mit der Auswirkung von Menstruationsblut auf die Heilung von Wunden beschäftigte. Dafür gaben sie Zellen aus menschlicher Haut in eine Petrischale, durchlöcherten die Zellschicht und befüllten sie mit Plasma aus Periodenblut. Als sie einen Tag später zurückkehrten, waren die Löcher verschwunden. Der gleiche Versuch mit venösem Blutplasma brachte deutlich andere Ergebnisse: Nur 40 Prozent der Wunden waren nach 24 Stunden verheilt. Ob ihre Beobachtungen die Wundheilung revolutionieren könnten, bleibt unbeantwortet. Für weitere Untersuchungen fehlten die Gelder.
Dabei finden sich plausible Erklärungsansätze dafür, warum Menstruationsblut regenerative Prozesse beschleunigen kann. Nein, die magische oder gar heilige Wirkung, die so mancher spirituelle Kreis beschwört, soll an dieser Stelle keine Rolle spielen. Wobei es durchaus an ein Wunder grenzt, zu was die Gebärmutterschleimhaut fähig ist: Dank ihren besonderen Stammzellen, die sich schnell teilen und vervielfältigen können, erneuert sie sich jeden Monat innerhalb weniger Tage, ohne dass dabei eine Narbe entsteht.
Trotzdem spielte Menstruationsblut bis vor zehn Jahren für die Forschung kaum eine Rolle. Eine Analyse aus dem Jahr 2022 zeigt, dass ein Großteil der Publikationen zu Stammzellen im Menstruationsblut erst seit 2018 erschienen ist. Dass die Forschung überhaupt begonnen hat, sich für das Thema zu interessieren, ist vor allem der Verdienst von Kämpfen feministischer Bewegungen. In den vergangenen Jahren haben sie die Menstruation immer weiter in den öffentlichen Diskurs gerückt. In Spanien etwa stehen Personen mit Menstruationsbeschwerden seit 2023 gesetzlich bis zu fünf Krankheitstage pro Monat dafür zu. In vielen anderen Ländern wurde die Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte abgeschafft. In Schottland sind seit 2022 alle öffentlichen Einrichtungen dazu verpflichtet, sie kostenlos bereitzustellen.
Doch von den ersten Symptomen bis zur Diagnose von Endometriose vergehen noch immer bis zu zwölf Jahre. Betroffene berichten, dass Ärzt*innen ihre Beschwerden häufig als Regelschmerzen abtun und aufwendige Untersuchungen nicht für nötig halten. „Das muss besser gehen!“, schreiben vier junge Medizinforscher*innen aus Linz auf ihrer Website. Sie arbeiten an einem Schnelltest für Endometriose, der sich auf die RNA-Signaturen von Zellen aus Menstruationsblut spezialisiert. Mit ihnen wird untersucht, welche Gene in welcher Menge gerade in einer Zelle aktiv sind. Daraus lässt sich ablesen, wie Zellen auf Reize oder Krankheiten reagieren. Aktuell wird er in einer klinischen Studie getestet.
„Wir wollen, dass Frauen, die einen starken Verdacht auf Endometriose haben, nicht mehr von Arztbesuchen abhängig sind“, sagt Peter Oppelt, Vorstand der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe in Linz und der Leiter des Projektes. Der Test soll frei zugänglich und kostengünstig sein. Einen genauen Preis kann er auf Anfrage noch nicht nennen.
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