Unternehmen „Sekko Soziale“: Mit Sekt etwas anstoßen

Daniel Priller und David Caspers verkaufen Perlwein und spenden einen Teil des Erlöses an eine Initiative für Aussteiger aus der rechten Szene.

Zwei Frauen und zwei Männer protesten sich zu

Alkohol mit Wirkung: David Caspers (links) und Daniel Priller verkosten mit zwei Gästen Sekt Foto: Stefanie Loos

„Flower. Fruit. Fun“, sagt die Frau mit dem Glas Rosé in der Hand. Nach Blumen, Obst und Spaß schmeckt ihr also der Perlwein, den sie gerade probiert hat. Gemeinsam stehen wir auf einer kleinen Sektverkostung in einem Neuköllner Ladenlokal, Typ: Büro mit Atelierflair. Es wird geschnattert und geprostet, doch sind auch einige stille Gäste anwesend; von Postern an der Wand schauen sie uns beim Trinken zu.

Menschen verschiedenen Alters, größtenteils Männer, die eines gemeinsam haben: Sie schafften es, aus der rechten Szene auszusteigen. „Ohne Exit hätte mein Hass niemals aufgehört“ steht auf einem Plakat. „Ohne Exit hätte ich niemals meine rassistische Vergangenheit aufgearbeitet“. Und auch: „Ich frage mich manchmal, ob ich ohne Exit überhaupt noch hier wäre …“

Gemeint ist die Initiative „Exit Deutschland“. Seit mehr als 20 Jahren unterstützt sie Menschen, die mit dem Rechtsextremismus brechen und sich ein neues Leben aufbauen wollen. Wie das mit Blumen, Obst und Spaß zusammengeht, das erzählen die beiden Gastgeber der Verkostung, während wir auf die Gäste warten. Daniel Priller (41) und David Caspers (31) sind die Gründer und Chefs von „Sekko Soziale“, sie vermarkten ihre Ware unter dem Motto „Anstoßen statt ausgrenzen“.

Heißt konkret: Für jeden verkauften Liter spenden sie einen Euro an Exit Deutschland. Von 2020 bis 2022 sind so mehr als 20.000 Euro Spenden zusammengekommen. Geld, mit dem beispielsweise Umzüge oder Tattooentfernungen finanziert werden. „Viele wissen nicht, dass aus der Szene auszusteigen lebensgefährlich­ sein kann“, sagt Priller mit ernstem Blick.

Soziales Bier, Limonade und Wasser – doch kein sozialer Sekt

Die Idee, Perlwein „mit sozia­ler Wirkung“ zu produzieren, hatten Priller und Caspers, als sie sich im Sommer 2018 beim Fusion-Festival einen Sekt bestellen wollten. Da fiel ihnen auf: Es gibt soziales Bier, soziale Limonade, sogar soziales Wasser – doch keinen sozialen Sekt. Denn tatsächlich ist das Prinzip, den Verkauf von Getränken mit einem weltverbessernden Auftrag zu verknüpfen, in Deutschland nicht neu. Wer beim Trinken ein gutes Gewissen haben möchte, findet einige Optionen.

David Caspers, Gründer von Sekko Soziale

„Wenn du Musik­festivals ver­an­staltest und dort Einlass machst, hast du leider viel Kontakt mit Nazis“

So spendet das 2009 ge­gründete Hamburger Start-up LemonAid für jede verkaufte Flasche Limonade oder ChariTea-Eistee 5 Cent für Entwicklungsprojekte, etwa in Südafri­ka. 7 Millionen Euro sollen bereits ­zusammengekommen sein. Ebenfalls in Hamburg hat der Verein Viva con Agua seinen Sitz, der seit 2010 über mit ihm verbundene GmbHs Mineralwasser oder auch Klopapier verkauft. Mit dem Geld soll im Globalen Süden die Versorgung mit Trinkwasser und sanitären Anlagen gefördert werden.

Das Berliner Bier Quartiermeister legt seinen Fokus hingegen auf Initiativen, die sich in Deutschland im lokalen Rahmen für gesellschaftliche Teilhabe engagieren. Diese werden mittels Onlinevoting bestimmt – eine „Kunsttherapie für traumatisierte Geflüchtete“, eine „Verschenkekiste“ oder „Weihnachten auf der Straße“ haben beispielsweise schon davon profitiert.

Warum nicht für einen sozialen Zweck?

Auch die Hamburger Fritz-Kola spendet regelmäßig an Projekte wie Laut gegen Nazis und auch Exit Deutschland, während der fränkische Pionier Bionade unter anderem die Initiative „Vielfalt 2030“ gegründet hat, die 17 Millionen Quadratmeter Grünfläche in Deutschland insektenfreundlicher gestalten will.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

So weit ist Sekko Soziale noch nicht. Im Büro trudeln nun die Gäste der Sektprobe langsam ein. „Typisch Berlin“, sagt Daniel Priller zu David Caspers, und beide lachen. Sie kennen sich damit aus; bevor sie Sekko Soziale gründeten, haben Priller und Caspers in der Kultur- und Veranstaltungsbranche gearbeitet.

Aus ihrer Erfahrung in der Berliner Nacht wissen sie auch, dass Sekt in Clubs und auf Techno-Festivals sehr beliebt ist und dass viele bereit sind, ein bisschen mehr dafür zu bezahlen. Warum damit also nicht einen guten Zweck verknüpfen?

Nach einem Sektfrühstück fit zur Arbeit

Als endlich alle Gäste da sind, wird das Licht gedämpft und feierliche Musik erklingt. Nun ist es wirklich so, wie man sich eine Weinverkostung vorstellt. „Wir nehmen euch auf eine kleine Reise mit“, sagt Priller auf Englisch, und anschließend fachsimpeln die beiden über ihre Getränke. Nach der ersten Runde mit dem Sekko Rosé – einer Mischung aus Spätburgunder und Merlot – kommt der Weiße – eine Cuvée aus Riesling, Bacchus und Müller-Thurgau – dran, ebenfalls ein Perlwein. „Das perlt im Mund“, erklärt Priller. Das sei der Unterschied zum nun folgenden Sekt, der „blubbern“ würde. Der eine sei leise, der andere laut.

Die beiden Perlweine und ihren Sekt bezieht Sekko Soziale vom Weingut Hemer in Rheinhessen, einem 1902 gegründeten Familienbetrieb, der ganz auf Bioanbau setzt. Nur der alkoholfreie Sekko wird nicht bio produziert; hier dauerte es auch so schon einige Zeit, einen Winzer zu finden, bei dem Qualität und Preis zusammenpassen. „Uns war aber wichtig, den im Sortiment zu haben, um Menschen, die keinen Alkohol trinken, nicht auszugrenzen“, sagt Daniel Priller. „Und außerdem ist es auch in unserem persönlichen Interesse, nach einem Sektfrühstück fit zur Arbeit zu kommen.“

Der alkoholfreie Sekt wird zum Star des Abends. „Nicht so süß. Lecker!“, sagt einer, „wie Wasser, nur feierlicher“, ein anderer. „Da ist wirklich nichts drin?“, fragt eine Teilnehmerin. Das sei so, wie gutes veganes Gyros essen und unsicher sein, ob es wirklich vegan ist. Mich überzeugt er auch, obwohl ich eigentlich skeptisch gegenüber Null-Promille-Versionen von alkoholischen Getränken bin.

Exit Deutschland

Auch der normale Sekt kommt gut an, wird als „trocken und erfrischend“ beschrieben. Mit nur 4,2 Gramm pro Liter sei der Zuckergehalt extra gering, erklärt Priller, denn: „Bei billigen Sektmarken wird viel Zucker eingesetzt. Damit bist du am nächsten Tag sicher verkatert.“ Zum Vergleich: Trockener Rotkäppchen-Sekt hat 20 Gramm, halbtrockener 36 Gramm pro Liter.

Dann wird es ernster, denn aus der Runde kommt die Frage, warum sie sich eigentlich für Exit Deutschland entschieden hätten. „Wenn du Musikfestivals veranstaltest und dort Einlass machst, hast du leider viel Kontakt mit Nazis“, sagt Daniel Priller. „Wir finden, dass Rassismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft nichts zu suchen haben“, sagt David Caspers.

Sie seien aber eines der größten Probleme in Deutschland. „Es ist unsere Verantwortung, das zu verändern.“ Deshalb war es Caspers und Priller wichtig, „etwas hier vor Ort“ zu machen – auch wenn viele so­zia­le Unternehmen in einen besseren Lebensstandard der Menschen im Globalen Süden investieren würden.

Ein Herz für Hater

Letztlich seien mehrere Faktoren zusammengekommen. „Wir möchten zu etwas Konstruktivem beitragen. Viele Organisationen sind eher ‚anti‘, was wir okay finden – aber wir wollten nicht mit dem Finger zeigen, sondern proaktiv was machen“, sagt Priller. Und so seien sie schließlich auf Exit Deutschland gestoßen, das 2019 wegen Finanzierungskürzungen vom Aus bedroht war.

Manchmal würden die Ziele von Sekko Soziale missverstanden. „Ich gebe kein Geld für ­Nazis aus“, so etwas würden sie schon mal zu hören bekommen. Auf Hate-Kommentare in ihren sozialen Kanälen antworten Priller und Caspers mit Herz-Emojis. Konkrete Drohungen von Rechten gab es bisher „zum Glück“ nicht.

Allerdings würden aus Sorge davor einige Händ­le­r*in­nen – „vor allem im Osten“ – lieber keinen Sekko Soziale verkaufen. „Und wir haben auch schon von Händ­le­r*in­nen gehört, dass wir ihnen zu politisch sind“, sagt Caspers. Sie selbst sehen das gemeinsame Trinken und Anstoßen als Akt der Inklusion. „Wenn Menschen zusammen trinken und feiern, sind Herkunft, Geschlecht, Alter und alles andere egal.“

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