Unterfinanzierte Krankenkassen: Von wegen Tsunami
Die Krankenkassenbeiträge werden steigen müssen. Es wird Zeit, das ehrlich zu diskutieren- und über faire Verteilung nachzudenken.
D a ist sie wieder, die Maximalrhetorik, die komplexe Verteilungsprobleme zudröhnt und von politischen Protagonist:innen verlangt, Geld vom Himmel regnen zu lassen. Diesmal geht es um die Finanzierungslücke der Krankenkassen. Nach Einschätzung des Münchner Instituts für Gesundheitsökonomik droht der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr ein Defizit von 25 Milliarden Euro. Wie soll diese Lücke gestopft werden? Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) müsse jetzt gemeinsam mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den 70 Millionen Versicherten die Frage beantworten, „ob und wie er den drohenden Beitragstsunami verhindern will“. Das sagt Andreas Storm, Chef der Krankenkasse DAK, früher mal Gesundheitspolitiker der CDU.
Solche Sprüche sind komplette politische Regression. Natürlich steigen die Gesundheitskosten. Wie anders sollte es auch sein in einer alternden Gesellschaft, in der steigender Bedarf, medizinischer Fortschritt, höhere Personalkosten und jetzt auch noch steigende Preise immer mehr Geld verschlingen? Die Frage lautet eher, wie die Mehrkosten am fairsten verteilt werden können.
Lauterbach handelt korrekt, wenn er höhere Beiträge für die Gesundheitsversorgung ankündigt. Höhere Beiträge auf den Arbeitslohn haben den Vorteil, dass sie erstens einkommensabhängig sind und zweitens paritätisch, dass sich daran also auch die Arbeitgeber zur Hälfte beteiligen müssen.
Diese Parität war vor mehr als 15 Jahren mal aufgehoben worden, die gesetzlich Versicherten mussten alleine Sonder- und Zusatzbeiträge tragen. Ab 2019 wurde die hälftige Finanzierung wieder hergestellt. Das Argument für die Aufhebung der Parität damals lautete: Hohe Sozialbeiträge für die Arbeitgeber treiben Personalkosten in die Höhe und kosten Jobs. Dieses Argument aus Zeiten der Massenarbeitslosigkeit gilt nicht mehr, Personal wird gesucht, dank der Demographie. Die Parität muss bleiben. Die Alterung der Gesellschaft verschärft aber eben auch Verteilungsfragen und in der Gesundheitsversorgung sind neben höheren Beiträgen auch mehr Steuermittel nötig. Woher dieses Steuergeld kommen soll, das wird und muss uns noch ehrlich beschäftigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja