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„Unser Kapital wird unnötig verspielt“

■ Im Gespräch: Matthias Lilienthal, Chefdramaturg der Berliner Volksbühne

taz: Der Berliner Kulturetat soll bis 1999 um 100 Millionen Mark reduziert werden. Was halten Sie von den Kürzungen?

Matthias Lilienthal: Grundsätzlich muß man sagen, daß die Stadt pleite ist und daß in der Situation natürlich alle sparen müssen. Man sollte sich aber gleichzeitig darüber klarwerden, wodurch Berlin im Moment seine Wirkung nach außen erzielt. Die Kultur ist da ein ganz wichtiger Faktor. Und die Theater, die Opern und die Freien Bühnen spielen dabei eine zentrale Rolle. Es besteht die Gefahr, daß dieses Kapital jetzt unnötig verspielt wird. Andrej Woron, Thomas Langhoff, Frank Castorf oder Andrea Breth, die hier an den Theatern arbeiten, sind Künstler, um die sich Städte wie Wien, Zürich, Hamburg oder München schlagen würden. Denen muß man einfach anständige Bedingungen bieten.

Die Volksbühne muß zwei Millionen Mark pro Jahr einsparen. Ist unter diesen Bedingungen Theater für Sie überhaupt noch möglich?

Die wirklichen Bedingungen sind doch bis heute noch gar nicht klar, das macht es ja so kompliziert. Aber die Sparvorgaben von zwei Millionen Mark pro Jahr sind ziemlich zum Kotzen. Das können wir in diesem Umfang sicherlich nicht bringen.

Wäre es nicht besser gewesen, Radunski hätte sich dazu durchgerungen, ein Haus ganz zu schließen, damit die anderen weitermachen können wie bisher?

Ach, seien wir doch realistisch, dann hätten wir auch aufgejault. Es ist ja relativ deutlich, daß ein Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik stattgefunden hat. Nachdem man das Schiller Theater geschlossen hatte, und der Senat dadurch Blessuren davongetragen hat, hat man sich jetzt dazu entschlossen, die Richtung zu wechseln und nach dem Gießkannenprinzip zu kürzen. Mit beiden Strategien riskiert man, die Kulturlandschaft in Berlin eminent zu beschädigen.

Sehen Sie denn irgendwelche anderen Möglichkeiten, im Bereich Kultur Gelder einzusparen?

Dazu kann ich nur ganz allgemein feststellen: Wenn man die Leute in der Stadt fragt, ob für die Kultur zuviel Geld ausgegeben wird, sagt der Großteil der Berliner ja. Auf der anderen Seite sind sie stolz auf die Kultur, die es in der Stadt gibt. Die Schwierigkeit ist im Moment, ein Bewußtsein dafür herzustellen, unter welchen Bedingungen hier gearbeitet wird, und was passiert, wenn man das abschafft. Natürlich kann man vom täglich wechselnden Repertoire- Betrieb auf En-suite-Betrieb umstellen, bei dem die Aufführungen vier Wochen lang am Stück laufen. Aber man muß auch wissen, daß sich dadurch die Qualität von Theater verändert. Der Gesamthaushalt der Stadt Berlin wird sich am Kulturetat weder kurieren, noch wird er an den zu großen Ausgaben im Kulturbereich kaputt gehen.

Was bedeuten Kürzungen von 2 Millionen Mark pro Jahr konkret für Ihre Arbeit?

Es gibt zum Beispiel den Vorschlag vom Kultursenat, auf Rahmenprogramme zu verzichten. Der Rote Salon oder unsere Sonderveranstaltungen wie die Müllfestspiele oder der Pop-Kongreß, den wir planen, sind jedoch zentrale Bestandteile unserer Ausstrahlungskraft. Die Volksbühne muß alle vier Wochen eine neue Produktion herausbringen oder anders auf sich aufmerksam machen. Wenn wir das nicht machen, sind wir weg vom Fenster. Natürlich können wir jetzt alle nur noch schönes, gepflegtes Sprechtheater machen und uns auf die großen Inszenierungen auf den großen Bühnen beschränken. Aber mal polemisch formuliert: Das ist vielleicht das, was mich am allerwenigsten interessiert.

Die großen Aufführungen...

Ja, weil sich dort am ehesten Routine und Normalität einschleichen. Zu versuchen, neue Gedankenmodelle in die Stadt hineinzutragen, ist dann nicht mehr möglich. Es gibt einen Punkt, wo Kunst machen die Grenze zur Abwicklung überschreitet. Das kann im Moment leicht passieren. Interview: Ulrich Clewing

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