Unruhen in der Ukraine: Putin behält sich Militäreinsatz vor
Während in Genf der Krisengipfel zur Krise in der Ukraine begonnen hat, spitzt sich die Lage im Osten des Landes weiter zu. Die EU droht Moskau schärfere Sanktionen an.
KIEW/MOSKAU/GENF rtr/afp/dpa | Die Europäische Union will nach französischen Angaben ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen, falls bei den Gesprächen über den Ukraine-Konflikt in Genf keine Fortschritte erzielt werden. Das kündigte Frankreichs Präsident François Hollande am Donnerstag in Paris an. In Genf in der Schweiz hatte am Vormittag ein internationales Krisentreffen begonnen, bei dem Chancen für eine politische Lösung des Konfliktes ausgelotet werden sollen. Im Laufe des Tages will die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton gemeinsam mit den Außenministern der USA, Russlands und der Ukraine beraten. Im Süden und Osten der Ukraine bleibt die Lage jedoch angespannt.
In einem TV-Interview bezeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin es als „weiteres schweres Verbrechen“ der ukrainischen Führung in Kiew, dass sie bewaffnete Einheiten in den Osten des Landes entsandt habe. Er betonte aber auch, dass das Treffen der Außenminister in Genf sehr wichtig sei.
Erneut wies Putin die Vorwürfe aus Kiew zurück, dass Russland Spezialkräfte in den Osten der Ukraine geschickt habe und forderte die ukrainische Übergangsregierung zu einem „echten Dialog“ mit der russischsprachigen Bevölkerung auf. Außerdem sprach Putin von einem Recht darauf, Militär in der Ostukraine einzusetzten. Er hoffe aber, von diesem Recht keinen Gebrauch machen zu müssen. Allerdings gab er auch erstmals zu, dass russische Soldaten während des umstrittenen Referendums auf der ukrainischen Halbinsel Krim Mitte März vor Ort waren. Bisher hatte Moskau die Entsendung der Soldaten bestritten.
Bei einer Schießerei an einem Stützpunkt der ukrainischen Nationalgarde in der Stadt Mariupol sind nach Angaben des Innenministeriums drei prorussische Separatisten getötet worden. Außerdem seien 13 verletzt und 63 festgenommen worden, teilte Minister Arsen Awakow am Donnerstag via Facebook mit. Etwa 300 Vermummte hätten Brandsätze geworfen und mit scharfer Munition geschossen. Die Nationalgarde habe gemeinsam mit Spezialeinheiten und Hubschraubern die Attacke abgewehrt. Die Agentur Interfax hatte zuvor unter Berufung auf eine regionale Internetseite von vier Todesopfern berichtet.
Schusswechsel wurden auch aus Slawjansk und Kramatorsk rund 80 Kilometer nördlich der ukrainischen Gebietshauptstadt Donezk gemeldet. Prorussische Kräfte gaben an, sie hätten in Slawjansk 17 Mitglieder der Regierungstruppen nach Schüssen auf friedliche Bürger festgenommen. In Kramatorsk seien mehrere Menschen verletzt worden, als die Nationalgarde auf Demonstranten gefeuert habe, sagte ein Sprecher der moskautreuen „Selbstverteidiger“ der Agentur Interfax.
Im Gebiet Donezk im Osten des Landes zogen sich Regierungstruppen mit 15 Panzerfahrzeugen zurück, nachdem sie von prorussischen Bewaffneten und Anwohnern blockiert worden waren. Die Einheit werde zurück nach Dnjepropetrowsk verlegt, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Sie sollte eigentlich mit einem „Anti-Terror-“ gegen Separatisten vorgehen, die in mehreren Städten des Gebiets Donezk staatliche Gebäude besetzt halten.
Mögliche neue Sanktionen
Das Spitzentreffen in Genf soll dazu beitragen, eine politische Lösung der Krise anzubahnen. Die ukrainische Delegation hat nach Angaben von Diplomaten Vorschläge für eine stärkere Berücksichtigung der Wünsche ethnischer Russen im Osten des Landes vorbereitet. Zugleich wolle sie Beweise für eine Verstrickung Moskaus in bewaffnete Aktionen prorussischer Separatisten in der Ostukraine vorlegen und die Beendigung dieser Angriffe fordern, hieß es in Delegationskreisen.
Für den Fall eines Scheiterns der Genfer Verhandlungen wollen die USA nach Angaben ihres Regierungssprechers Jay Carney Kurs auf eine deutliche Verschärfung der Sanktionen gegen Russland nehmen. „Wir bereiten aktiv neue Sanktionen vor“, sagte er laut Mitteilung der Genfer US-Mission. Man hoffe aber, dass Moskau jetzt Bereitschaft zur Deeskalation demonstriere.
In Kiew drohte Interimspräsident Alexander Turtschinow allen Soldaten, die den Separatisten ihre Waffen übergeben, mit einem Militärgericht. Eine Fallschirmjäger-Einheit, die sich im Gebiet Donezk dem Druck prorussischer Aktivisten gebeugt hatte, werde aufgelöst, sagte Turtschinow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen