Unruhen in der Türkei: Ein weiteres Todesopfer
Auch in der Nacht auf Dienstag setzten sich die Proteste in Istanbul, Ankara und anderen Städten fort. Nahe der syrischen Grenze stirbt ein Mann.
ANKARA afp/dpa | Die regierungskritischen Proteste in der Türkei verschärfen sich am fünften Tag in Folge offenbar weiter. Bei einer Demonstration im Süden des Landes sei ein 22-Jähriger von einem Unbekannten angeschossen worden und im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen, berichtete der private Sender NTV in der Nacht zum Dienstag unter Berufung auf die Behörden. In Istanbul und Ankara setzte die Polizei wieder Tränengas und Wasserwerfer ein.
Der Vorfall ereignete sich am Montag in der Provinz Hatay nahe der Grenze zu Syrien, wie NTV berichtete. Nach Angaben des Oppositionsabgeordneten Hasan Akgol war das Opfer Mitglied der laizistischen Republikanischen Volkspartei. Die Polizei leitete Ermittlungen ein. Berichte über Schüsse der Polizei oder von Demonstranten gab es zunächst nicht. Teilnehmer des Protests berichteten jedoch, dem Mann sei von der Polizei in den Kopf geschossen worden.
Bei einer Autopsie der Leiche wurde jedoch festgestellt, dass er eine schwere Schädelverletzung erlitten hat, wie türkische Medien am Dienstag unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft in Antakya berichteten. Der Täter sei weiter unbekannt.
Bei dem Mann handelt es sich um das zweite Todesopfer der seit Freitag andauernden Massenproteste. Am Sonntag wurde ein junger Demonstrant, der an der Blockade einer Stadtautobahn in Istanbul teilnahm, getötet. Er starb, als ein Auto in die Menge raste. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und Ärzteverbänden wurden bei den Protesten bislang mehr als 1700 Menschen verletzt. Die türkische Regierung zählte hingegen bis Sonntag 173 Verletzte.
In der Türkei gibt es seit Tagen heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei. Auslöser war die gewaltsame Auflösung von Protesten gegen den Bau eines Einkaufszentrums im beliebten Gezi-Park am Taksim-Platz in Istanbul am Freitag. Die Proteste richten sich inzwischen aber verstärkt gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung.
Gummigeschosse gegen Protestierende
Auch in der Nacht setzte die türkische Polizei in Istanbul und in der Hauptstadt Ankara erneut Tränengas und Wasserwerfer gegen regierungskritische Demonstranten ein. Nach Angaben von Augenzeugen und dem Fernsehsender CNN-Türk gingen Beamte in beiden Städten gegen hunderte Protestierende vor. Aus deren Reihen wurden demnach Steine auf Polizisten geworfen.
In Ankara setzte die Polizei CNN-Türk zufolge im Stadtteil Kavaklidere auch Gummigeschosse gegen Protestierende ein. Im europäischen Teil von Istanbul errichteten demnach Demonstranten im Viertel Gümüssuyu Barrikaden und entzündeten Feuer. In beiden Städten fanden zudem in angespannter Atmosphäre weitere große Kundgebungen mit tausenden Teilnehmern statt.
Erdogan selbst sagte noch am Montagabend bei einem Besuch in Marokko, die Lage in seinem Land „beruhigt sich allmählich“. Wenn er zurückkehre, seien „die Probleme erledigt“. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte löste allerdings international Besorgnis aus. Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union und die US-Regierung forderten angemessene Reaktionen auf die Proteste.
Der frühere Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen, forderte Berlin und Brüssel auf, deutliche Worte zu finden. Ankara müsse klargemacht werden, „dass zur Demokratie auch Toleranz gegenüber Andersdenkenden sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit gehören“, sagte er am Montag im Fernsehsender Phoenix und sprach von „bürgerkriegsähnlichen Szenen“.
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