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Unruhen in Kongo-BrazzavilleEine Krise, die es offiziell nicht gibt

Zehntausende Menschen sind vor der brutalen Niederschlagung eines Milizenaufstands auf der Flucht. Die Regierung will davon nichts wissen.

Das Land wird schon seit Jahren von Aufständen erschüttert (Archivbild 2012) Foto: dpa

Brüssel taz | Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen in der Republik Kongo (Kongo-Brazzaville) am 16. Juli wird das ölreiche zentralafrikanische Land erneut ein Hort von Unsicherheit. Unruhen in Oppositionshochburgen, die es seit der umstrittenen Wiederwahl des seit 1979 mit kurzer Unterbrechung regierenden Präsidenten Denis Sassou-Nguesso im März 2016 gibt, weiten sich zum Bürgerkrieg aus. Nach UN-Angaben sind in der Region Pool westlich der Hauptstadt Brazzaville sowie in der Hauptstadt selbst mittlerweile 80.000 Menschen auf der Flucht.

Das Leben in Brazzaville sei die Hölle geworden, gestand kürzlich Kongos Botschafter in Brüssel, Roger-Julien Menga. Benzin und Brennstoffe würden rar, obwohl Kongo-Brazzaville Öl fördert. Die gesunkenen Ölpreise hätten den Staatshaushalt 2017 um 27 Prozent im Vergleich zu 2016 schrumpfen lassen. Gehälter im Staatsdienst würden verspätet gezahlt, die Inflation liege bei 30 Prozent.

Die verschlechterte Wirtschaftslage liegt nicht nur am gesunkenen Ölpreis, sondern an den bewaffneten Auseinandersetzungen in der Region Pool, die zwischen der Hauptstadt Brazzaville und dem Ölhafen Pointe-Noire liegt. Über die Eisenbahnlinie zwischen Pointe-Noire und Brazzaville kommen alle wichtigen Import- und Ölprodukte in die Hauptstadt. Sie ist aber ein Lieblingsziel für Sabotageakte der oppositionellen „Ninja“-Milizen, die gegen das Sassou-Regime in Brazzaville kämpfen – ein Erbe der Bürgerkriege der 1990er-Jahre.

Der historische Rebellenführer der Region, Frédéric Bintsamou, besser bekannt als „Prediger Ntumi“, wird von Regierungsseite als verrückter selbst ernannter Prediger dargestellt, aber seine Anhänger verehren ihn als Verteidiger des Bakongo-Volkes im Süden von Kongo-Brazzaville gegen eine brutale Staatsmacht. Ntumi, der 2007 Frieden mit der Regierung schloss, seine 5.000 Kämpfer entwaffnete und in die Regierung eintrat, griff 2016 erneut zu den Waffen. Seit Herbst 2016 kommt es wieder zu regelmäßigen Scharmützeln.

Lebensmittel und Benzin werden knapp

Nun wird in Brazzaville sogar der Zucker knapp, während in der Unruheregion Pool, eigentlich der Lebensmittelversorger des ganzen Landes, aufgrund der Kämpfe Hunger um sich greift. Für Importgüter müssen Brazzavilles Händler auf das benachbarte riesige Kinshasa umsteigen, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Aber dort ist die wirtschaftliche und politische Lage ebenfalls zunehmend angespannt.

Die Regierung Sassou reagiert auf die Aufstände brutal. Im April warf die Menschenrechtsorganisation FIDH (Fédération internationale des droits de l’homme) der Staatsmacht vor, in Pool die Zivilbevölkerung zu bombardieren, wahllos Verhaftungen, Folter und Zwangsumsiedlungen vorzunehmen und 130 politische Häftlinge festzuhalten. Im Februar starb der Oppositionspolitiker Marcel Ntsourou in Haft.

Das Leben in Brazzaville ist die Hölle geworden

Botschafter Kongos

Die Opposition verlangt ein Ende der Kampfhandlungen seitens der Armee und einen Dialog mit den Milizen. Da die Regierung das ablehnt, fürchten Analysten, dass Oppositionsparteien, die im Süden des Landes stark sind, sich mit den Ninja-Milizen verbünden könnten. Dann wäre die Bürgerkriegskonstellation der 1990er-Jahre, als Zehntausende bei Kämpfen starben, wieder komplett.

Die Parlamentswahlen sollen laut Regierung trotzdem stattfinden. Präsident Sassou-Nguesso verneinte gegenüber dem französischen TV-Sender France 24, dass es eine Krise gebe. Premier Clément Mouamba sagte dem französischen RFI-Rundfunk, nur ein Viertel der Pool-Region sei von Unruhen betroffen. Man müsse aber darauf achten, dass „verkleidete Ninjas, die sich in Brazzaville in Bombenleger verwandeln“, nicht die Hauptstadt erreichten. Die Parteien um Oppositionsführer Jean-Marie Michel Mokolo machen ihre Teilnahme an den Wahlen von der Freilassung politischer Gefangener und einem Ende des Kriegs abhängig – schwer zu erfüllen, da die Regierung verneint, dass es einen Krieg oder politische Gefangene gibt.

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