Unruhen in Bangladesch: Wenige Wochen vor den Wahlen eskaliert die Gewalt
In Bangladesch gibt es nach dem Mord an einem Studentenführer Unruhen. Sie richten sich gegen Indien und Medien und schwächen die Übergangsregierung.
Zwei Monate vor den Wahlen sind in Bangladesch Unruhen ausgebrochen: Auslöser war die Ermordung des Studierendenführers Sharif Osman Hadi. Der 32-Jährige war am Donnerstag in einem Krankenhaus in Singapur seinen Verletzungen erlegen, nachdem er dort nach dem Angriff in seiner Heimat behandelt worden war. Hadi zählte zu den prominenten Stimmen, die sich für ein Verbot der Partei Awami Liga der gestürzten Ex-Premierministerin Sheikh Hasina aussprachen. Zudem galt er als scharfer Kritiker Indiens, das Hasina aufgenommen hat. Sie wurde inzwischen zum Tode verurteilt.
2024 war Hadi während der politischen Unruhen als Gründer und Sprecher der Plattform Inqilab Moncho („Plattform der Revolution“) bekannt geworden. Die Massenproteste mündeten im Sturz von Hasina Anfang August 2024. Der Sohn eines Imams wollte jetzt bei der für den 12. Februar geplanten Parlamentswahl als unabhängiger Kandidat in der Hauptstadt Dhaka antreten. Doch zwei Maskierte schossen ihm am 12. Dezember in den Kopf.
Nachdem sein Tod am Donnerstag bekannt wurde, demonstrierten Zehntausende, um die Verhaftung seiner Mörder zu fordern. Die sollen unbestätigten Berichten zufolge nach Indien geflohen sein. Ihre Spur soll mutmaßlich auch zum Jugendflügel der Awami Liga führen, der Partei, deren Aktivitäten seit Mai verboten sind.
Am Wochenende kamen in Dhaka Hunderttausende zur Beisetzung Hadis. Übergangspremier Muhammad Yunus würdigte ihn als „Revolutionsführer“: „Du bist in unseren Herzen, und solange Bangladesch existiert, wirst du in den Herzen aller Bangladescher bleiben“, sagte der 85-jährige Friedensnobelpreisträger.
Journalisten konnten nur knapp gerettet werden
Dessen Übergangsregierung scheint nach den Massenprotesten geschwächt. Denn sie hatte nicht verhindern können, dass am Donnerstag in Dhaka Demonstranten die Redaktionsräume von zwei Tageszeitungen in Brand setzten. Zahlreiche Journalisten von The Daily Star und Prothom Alo konnten erst nach Stunden aus den brennenden Gebäuden gerettet werden. Den Medienhäusern wird vorgeworfen, Indien nahe zu stehen.
Studentenführer machten bei einer Kundgebung Indien mitverantwortlich für den Mord und kündigten Widerstand gegen Delhis „Hegemoniestreben“ an. „Schon vor der Ermordung Hadis nahmen die Gewaltrisiken in Bangladesch zu. Zudem gibt es Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit der Polizei, auf Unruhen zu reagieren“, erklärte der Südasienexperte Michael Kugelman vom Atlantic Council in Washington. Die Wochen vor den Wahlen seien jetzt Yunus' „größte Bewährungsprobe“.
Kugelmann ist skeptisch, ob sich das Verhältnis zwischen Indien und Bangladesch nach der Wahl entspannen wird. Die Beziehungen werden durch den Mord an Hadi weiter belastet, die seit der Flucht Hasinas dorthin auf einem Tiefpunkt sind. Dhaka beschuldigt Delhi immer wieder, sich in innere Angelegenheiten einzumischen und fordert vergebens Hasinas Auslieferung. Auch mehrere hochrangige Mitglieder der Awami Liga sollen sich im indischen Asyl befinden.
Schon vor dem Angriff auf die Medienhäuser hatten Journalist:innen auch der taz gegenüber geschildert, dass die Selbstzensur aus Sorge vor Übergriffen islamistischer Kräfte zugenommen habe. Der EU-Botschafter in Dhaka, Michael Miller, sprach von „Angriffen auf Medienfreiheit und Meinungsfreiheit“. Dies sei ein schrecklicher Rückschlag für die Demokratie. „Ich kann nur betonen, wie wichtig es ist, den Raum für Meinungsfreiheit in Bangladesch im Vorfeld der Wahlen zu erhalten“, sagte er bei einem Solidaritätsbesuch der Zeitung The Prothom Alo am Sonntag.
Vorwurf an Yunus, zu nachsichtig mit Islamisten zu sein
Die Stimmungsmache der Islamisten nimmt zu. Hasina wusste als eiserne Regentin diese Kräfte in Schach zu halten. Kritiker:innen werfen Übergangspremier Yunus jetzt vor, ihnen gegenüber zu nachsichtig zu sein. Ein Vorfall am Donnerstag erhärtet das: Der 27-jährige Hindu Dipu Chandra Das wurde nördlich von Dhaka wegen angeblicher Blasphemie aus seiner Arbeit gedrängt und danach gelyncht.
Während sich Dhakas Verhältnis zu Delhi verschlechtert hat, verbesserte es sich ausgerechnet zu Islamabad. Dabei hatte Bangladesch, damals noch Ostpakistan genannt, 1971 mithilfe Indiens seine Unabhängigkeit von Islamabad erkämpft. Im Sommer 2024 hatten die von Hasina durchgesetzte Privilegien für die Kinder von Unabhängigkeitskämpfern die Proteste ausgelöst, die ihre Regierung zu Fall brachten. Diese hatte vergeblich massive Polizeigewalt eingesetzt, die laut Schätzungen der Vereinten Nationen 1.400 Tote forderte.
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