Unpopulärer Bundesbank-Einwurf: "Rente ab 69" wird abgemeiert
Mit ihrem Vorschlag, die Rente erst ab 69 Jahren auszuzahlen, hat sich die Bundesbank kaum Freunde gemacht. Politiker und Gewerkschaftler sind erbost. Nur ein paar Demographieexperten finden die Idee prima.

BERLIN dpa | Mit ihrem Ruf nach Rente erst ab 69 Jahren hat die Bundesbank mitten im Wahlkampf einen Proteststurm ausgelöst. "Das ist Quatsch", sagte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD). Auch Gewerkschaften und Sozialverbände wiesen den Vorstoß umgehend zurück. Die Bundesbank hält in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 69 Jahre bis 2060 für notwendig.
"Es wäre schon viel gewonnen, wenn nicht ständig neue unsinnige Vorschläge das Licht der Welt erblicken würden", sagte Scholz dem Hamburger Abendblatt. "Das ist der dümmste Vorschlag, den ich in den letzten Jahren gehört habe", sagte Elke Hannack, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, der Berliner Zeitung. Eine solche Heraufsetzung des Renteneintrittsalters bis zum Jahr 2060 wäre "sozialpolitischer Raubbau an unserer Gesellschaft".
Der Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, sagte der Zeitung: "Auf diese Weise werden Jung und Alt weiter verunsichert."Auch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) kritisierte die Forderung als "absurd". "Am Schreibtisch in der Bundesbank kann man es vielleicht bis 69 aushalten, auf der Baustelle ist die Vorstellung grotesk", sagt der Gewerkschaftsvorsitzende Klaus Wiesehügel laut Mitteilung.
Linksparteichef Oskar Lafontaine betonte in einer Mitteilung, der Vorschlag laufe auf eine Rentenkürzung hinaus. Die Belastungen der Staatsfinanzen durch die Wirtschaftskrise sollten durch andere Maßnahmen - zum Beispiel eine Börsenumsatz- oder eine Vermögensteuer - abgefedert werden. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte der Berliner Zeitung: "Die Bundesbank sollte sich lieber um eine verbesserte Bankenaufsicht kümmern, als die Bürger mit solchen Parolen zu verunsichern." Ähnlich äußerte sich Grünen- Spitzenkandidatin Renate Künast in der Zeitung: "Spekulationen über die Höhe des Rentenalters in fünfzig Jahren sollte die Bundesbank tunlichst unterlassen."
Die Bundesbank beruft sich auf neuere demografische Annahmen unter anderem der EU-Kommission. Die Anhebung sei "eine geeignete Maßnahme, wenn die Rentenphase in Relation zur Erwerbsphase nicht stetig zunehmen soll". Ansonsten würden Ausgaben und Beiträge wegen der höheren Lebenserwartung kontinuierlich steigen. Im Frühjahr 2008 hatte sich die Bundesbank bereits für einen allmählichen Anstieg auf 68,5 Jahre ausgesprochen und damit ebenfalls eine Diskussion ausgelöst. Die große Koalition hatte 2007 eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis 2029 beschlossen.
Demographieexperten stehen dementsprechend der Forderung nach einer Rente mit 69 aufgeschlossener gegenüber. "Im Kern geht es um die Frage, ob und wie sich die Gesellschaft auf eine steigende Langlebigkeit der Bevölkerung einstellt. Diese Debatte ist richtig, weil sie notwendig ist", sagte der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Mit der beschlossenen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis 2029 sei die steigende Lebenserwartung bis zum Jahr 2035 eingerechnet worden. "Es ist durch aus möglich, dass 2040 weitere Anpassungen erforderlich sind", sagte Raffelhüschen. Für Festlegungen bis zum Jahr 2060 sei es wegen der Prognoseunsicherheit zwar zu früh. "Wir müssen aber darüber diskutieren, ob wir dauerhaft eine Regelbindung in die Rentenformel einführen, die die Veränderungen der durchschnittlichen Lebenserwartung auf das Renteneintrittsalter umrechnet", sagte der Sozialexperte.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, Jörg Tremmel: "Grundsätzlich ist es sinnvoll, auch in fernerer Zukunft den Renteneintritt an die steigende Lebenserwartung anzupassen", sagte Tremmel der Zeitung. Veränderungen der durchschnittlichen Lebenserwartung sollten grundsätzlich zu 50 Prozent dem Renteneintrittsalter zugeschlagen werden. Auch Tremmel warnte vor verfrühten Festlegungen: "So wenig belastbar politische Entscheidungen 1960 mit Blick auf das Jahr 2010 gewesen sind, so wenig sind es heutige Beschlüsse für 2060."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale