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Uno zur Menschenrechtslage in SyrienDas Gegenteil von Sicherheitsorganen

Der Menschenrechtsbericht fällt düster aus. Der Dissens darüber, wer als Terrorist gilt, verhindert einen tragfähigen Waffenstillstand.

US-Außenminister John Kerry und Wladimir Putin beim G20-Gipfel in Hangzhou Foto: ap

Genf taz | Bereits seit Mai dieses Jahres verhandeln hohe Militärs sowie die Außenminister der USA und Russland in Genf und an anderen Orten über einen Waffenstillstand in Syrien. Bislang ohne Ergebnis. Selbst ein Gespräch der Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin beim G-20-Gipfel in China brachte keinen Durchbruch. Ein Waffenstillstand ist aber die unerlässliche Vorbedingung für die humanitäre Versorgung von Millionen notleidender Menschen. Er ist auch die Bedingung für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Syrien, über die der im September 2012 etablierte Untersuchungsausschuss der UNO am Dienstag in Genf einen inzwischen zwölften Bericht vorlegte.

Er umfasst den Zeitraum Januar bis Mitte Juli 2016 und fällt noch düsterer aus als seine elf Vorgänger: Nach dem Zusammenbruch der kurzzeitig von Ende Februar bis Anfang April währenden Waffenruhe haben sowohl die durch Kriegshandlungen – Luftangriffe, Beschuss von Krankenhäusern, Einsatz von Chemiewaffen oder Antipersonenminen und Streubomben – verursachten Menschenrechtsverstöße erheblich zugenommen, wie auch Folter, sexualisierte Gewalt oder willkürliche Hinrichtungen in Gefängnissen oder anderen Hafteinrichtungen.

Für den weit überwiegenden Teil dieser Menschenrechtsverstöße sind laut des UNO-Berichts die Streitkräfte, Geheimdienste und andere „Sicherheitsorgane“ der Regierung Assad verantwortlich. Aber auch Verstöße des syrischen Al-Qaida-Ablegers Al-Nusra-Front und anderer Oppositionsmilizen sowie des „Islamischen Staat“ (IS) werden in dem Bericht aufgelistet.

Woran hakt es noch bei den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den USA und Russland? Ende Juli hatten die Außenminister John Kerry und Sergey Lawrow nach einem Treffen in Moskau bereits die „grundsätzliche Einigung“ auf einen Waffenstillstandsplan verkündet – zumindest für die heftig umkämpfte Stadt Aleppo. Dieser Plan sieht die Einstellung russischer und syrischer Luftangriffe auf „moderate Oppositionsmilizen“ vor, den Rückzug syrischer Bodentruppen von einer der Versorgungsrouten, die in die Stadt führen, und sodann den Beginn humanitärer Lieferungen der UNO über diese Route.

Wer wird als Terrorist eingestuft?

Die „moderaten Oppositionsmilizen“ wurden noch am letzten Samstag in einem Schreiben von Kerrys Chefunterhändler für Syrien, Michael Ratney, aufgefordert, die humanitäre Versorgungsroute zu respektieren. Zudem soll die Zurückhaltung und der teilweise Rückzug der gegnerischen Luft-und Bodenstreitkräfte nicht durch eigene militärische Vorstöße ausgenutzt werden. Seit der „grundsätzlichen Einigung“ zwischen Kerry und Lawrov heißt es immer wieder, offen seien „nur noch einige technische Details“.

Doch hinter dieser Sprachregelung verbirgt sich ein handfester politischer Dissens. Auf dem Tisch liegt der Plan bereits seit November letzten Jahres, als die USA, Russland, Iran, Saudi Arabien, die Türkei sowie zehn weitere Staaten in Wien den Verhandlungs- und Friedensplan für Syrien vereinbarten. Geklärt wurden die Uneinigkeiten jedoch nicht: Wer sind „moderate Oppositionsmilizen“ und wer – außer des IS und der Al-Nusra-Front, über die Konsens besteht – sind Terroristen, die weiterhin militärisch bekämpft werden sollen?

Dieser Streit betrifft in erster Linie die beiden kampfstarken Milizen der „Islamischen Armee“ und der „Islamischen Bewegung der freien Männer der Levante“. Wegen ihrer engen ideologischen und operativen Verbindungen zur Al-Nusra-Front werden diese Milizen von den Regierungen in Moskau, Damaskus und Teheran als „Terroristen“ eingestuft, von den Regierungen in Washington, Riad und Ankara aber als „moderate Oppositionsgruppen“, die im Frühjahr auch zu den drei gescheiterten Genfer Verhandlungsrunden mit einer syrischen Regierungsdelegation eingeladen wurden.

Solange dieser Dissens besteht, wird es kaum einen tragfähigen Waffenstillstand geben. Auch werden sich Moskau und Washington nicht auf eine engere Kooperation bei der militärischen Bekämpfung des IS verständigen.

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2 Kommentare

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  • Woran es noch bei den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den USA und Russland hakt? Man braucht sich bloß das Foto über dem Text anzusehen. Es sagt eine Menge über das Selbstverständnis des "Westens" und seiner Repräsentanten aus, finde ich.

     

    Wer es mit meinen Augen sieht, erkennt auf dem Foto einen autoritären Patriarchen, der auf seinen ungezogenen, unmündigen Sohn einpredigt. Wäre ich Putin, würde ich auf dem nächsten Foto der Serie vermutlich sehr stark pubertieren. Selbstbeherrschung ist schließlich eine Kunst, die mitunter überaus verzichtbar wirkt auf den, der sie praktizieren müsste.

    • 3G
      34420 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Stimmt. Gut ausgesucht vom Fotomenschen. Oder ist es eine Montage?

      Das Foto zeigt eigentlich schon alles. Von oben angreifend, die eigene Überlegenheit nutzend und jegliche respektvolle Distanz aufgebend.

       

      Käme mir jemand 20 cm vor die Nase...