piwik no script img

Universitäten bestreiktStudenten auf den Barrikaden

Zum Auftakt des einwöchigen Bildungsstreiks besetzen und blockieren Studierende ihre Institute. Am ersten Tag beteiligen sich rund 2.000 Studierende.

Von der Bildungspolitik erschlagen: Streik an der Uni. Bild: dpa

"Die Uni bleibt geschlossen - die Diskussion ist eröffnet" bereitet ein Plakat vor dem Architektur-Institut der Technischen Universität Studenten und Lehrpersonal auf die Aktionswoche Bildungsstreik vor. Zum Auftakt geht der Fachbereich mit gutem Beispiel voran: Bereits am ersten Tag des einwöchigen Streiks blockieren die Studierenden der Architektur ihr Gebäude.

"Wir lassen nur noch Mitarbeiter rein, die dürfen nicht streiken", erklärt die Diplom-Studentin Sabrina Broska, die vor dem versperrten Eingang an einem Tisch sitzt. Die Reaktionen der Abgewiesenen fallen unterschiedlich aus, es dominiert Unverständnis. "Ich wollte nur etwas abgeben", beschwert sich eine Studentin, die kehrt machen muss. Den Protesten anschließen will sie sich nicht. "Keine Zeit."

Damit ist sie nicht alleine: Die Beteiligung ist an den meisten Instituten übersichtlich. Vor dem Fachbereich Architektur folgt eine Gruppe von rund 40 Personen einer Diskussion über Bachelor und Master, einige weitere malen Parolen auf den Boden. Am sozialwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität (HU) beschließen rund 70 Studierende den Streik, gut 200 beteiligen sich an Aktionen rund um das Hauptgebäude. Im Anschluss an eine Vollversammlung der TU ziehen rund 1.000 Demonstranten spontan zur Gedächtniskirche.

Die Studierenden der Freien Universität sind noch einen Schritt weiter gegangen: 20 von ihnen haben um sieben Uhr morgens das Otto-Suhr-Institut besetzt. Seitdem halten rund 50 Streikende die Stellung, Informationen gibt es in einem ebenfalls besetzten Raum in der Silberlaube. "Wie wir weiter vorgehen, entscheidet die Vollversammlung am Dienstag", sagt Malte Lührs, einer der Besetzer. Ein Kommilitone von ihm sieht die Sache anders: "Ich gehe mal gucken, was am OSI los ist, aber studieren ist heute nicht", sagt er. "Ein Freund von mir ist gleich zu Hause geblieben, aber ich wollte mir das Spektakel wenigstens mal angucken". Auch die Studenten der HU melden eine Besetzung: Das vierte Stockwerk des rechten Flügels im Seminargebäude in der Dorotheenstraße ist in der Hand von rund 50 Studierenden. "Der Raum soll vor allem für Streikorganisation und Veranstaltungen genutzt werden", erklärt Mitorganisator Jan Latza.

Den Teilnehmern der Proteste geht es neben der Ablehnung von Studiengebühren vor allem um die Folgen der Bologna-Reform. Das Modell sieht vor, für ganz Europa einheitliche Abschlüsse zu schaffen - Bachelor und Master. Im Zuge dessen nahmen gerade im Bachelor im Vergleich zum Grundstudium die Inhalte zu, denn der Abschluss soll bereits ein "berufsqualifizierender" sein. "Der größe Missstand ist, das für die gleichen Inhalte, die vermittelt werden müssen, viel weniger Zeit ist", kritisiert ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachbereichs Architektur, der die Studenten in ihren Forderungen unterstützt. Eine Lösung könne es sein, den Bachelor von den jetzt üblichen drei Jahren auf vier oder sogar fünf Jahre zu verlängern. Das sei in anderen Ländern bereits der Fall. "Aber das ist natürlich eine Frage der Finanzierung." Er erhofft sich von der Aktionswoche, dass zumindest ein Nachdenkprozess einsetzt - bei Lehrenden und Studierenden sowie in der Politik.

"Die Bachelor-Studenten sind insgesamt supergestresst, die haben gar keine Zeit über das System nachzudenken", sagt die Zweitsemestlerin Olga Zenker. Das führe dazu, dass gerade die, die sich eigentlich an dem Streik beteiligen müssten, eher nach Hause gehen und lernen würden. Sie hofft, dass sich das in den nächsten Tagen noch ändert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • S
    Sophie

    Module sind keinesfalls Ersatz für selbst eigenverantwortlich und individuell interessengeleitet erarbeitetes, später situativ vernetztes und derart auch geprüftes Wissen in Diplomprüfungen. Hausarbeiten sind zur Einübung wissenschaftlicher Methoden ergänzend geeignet, allerdings kommt die Vermittlung und Anwendung der Methoden in Ba-Ma-Modulen ebenfalls unwissenschaftlich zu kurz, solide wissenschaftliche Recherche wird aus Zeitgründen oft unterlassen, das Niveau ist erheblich gesunken. Das merkt man auch schon äußerlich den leider zwangsweise modulhaft manipulierten Studenten an, Intellektuellen begegnet man auf dem Campus kaum mehr, das sah eben vor zehn Jahren noch anders aus, erst Recht vor 30 und muss sich wieder ändern.

     

    Bildungspolitikern und unreflektiert schweigenden Wissenschaftlern empfehle ich einfach mal, versuchen zu denken: Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.

  • K
    katharina

    "Der größe Missstand ist, das für die gleichen Inhalte, die vermittelt werden müssen, viel weniger Zeit ist", kritisiert ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachbereichs Architektur, der die Studenten in ihren Forderungen unterstützt.

     

     

    Ich glaube, da hat jemand das System nicht verstanden. Und weil SOLCHE Leute beauftragt waren, die Studienpläne zu erstellen und die Umstellung zu vollziehen, sitzen wir jetzt in der Scheiße. Der Inhalt eines gesamten Magister-Studiums soll NICHT Inhalt eines BA-Studiums sein. BA-Medienwissenschaftler sollten nicht das gleiche Pensum lernen, wie Diplomer. Am besten wäre gewesen, die Grundstudiumssachen in den BA, die vom Hauptstudium in den Master zu packen. Aber nein...

  • ST
    schon traurig

    War mir absolut klar, dass dieser Bildungsstreik keine Dynamik hervorbringen würde. Der Bolognaprozess ist viel zu abstrakt, als dass ein durchschnittlicher Student ihn gedanklich durchdringen könnte - zumindest wenn er sich nicht etwas intensiver damit beschäftigt.

    Diese Beschäftigung wird allerdings kaum jemand aufbringen, in Zeiten, in denen es äußerst unmodern geworden ist irgendein System - und sei es nur der Altglasautomat im Supermarkt - in Frage zu stellen.

    Die Studenten von heute tragen zwar Ché Guevara auf der Brust und vor drei Jahren hatten sie ihre Taschen und Jacken noch mit "Anarchy" und "Revolution"- Zeichen übersäht, aber das war nur Kommerz. Im Endeffekt ist die heutige Studentengeneration extrem konservativ, extrem unpolitisch, extrem enghorizontig und extrem desinteressiert an allem, das nicht ihrem eigenen Vorankommen dient.

    Wenn es jemals Untertanengeist gab, dann verkörpern ihn die heutigen Studenten.

  • J
    jan

    Märsche zur Gedächtniskirche und Institutsbesetzungen sind Irreführungen der sowieso schon spärlichen Demo-Energie.

     

    Wieso zieht denn keiner zu den Kultusministerien und campiert so lange dort, bis die zentralen Forderungen erfüllt werden?

    Wieso wissen die deutschen Studenten nicht einmal, gegen WEN sie konkret demonstrieren?