Ungerechte Umverteilung von Fördergeld: SPD verliert politischen Kompass
Ich komme aus einer Sozi-Familie. Aber ich verstehe den Haufen nicht mehr. Dieses Mal geht es um die Haushaltsvorschläge der Deutschlandkoalition.
E s gibt dieses schöne Ödön-von-Horváth-Zitat: „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.“ So geht es dieser Kolumne heute. Eigentlich war die ja mal gedacht als lockeres, freundliches Geplauder aus dieser bemerkenswerten Stadt, aber – ach – ich habe schon wieder Schaum vorm Mund. Entschuldigung dafür.
Der Anlass ist mal wieder die hiesige SPD, auch das ist eine Obsession, die ich vielleicht mal aufklären muss: Ich komme eigentlich aus einer Sozi-Familie. Aber ich verstehe den Haufen einfach nicht mehr.
Dieses Mal geht es um die Haushaltsvorschläge, die diese sogenannte Deutschlandkoalition aus SPD, CDU und FDP im Rathaus vorgelegt hat. Genauer: um die Kürzungen im Kulturbereich. Oder eher: um die angestrebte Mittel-Umverteilung.
Die SPD und ihre Verbündeten versuchen nämlich gerade die eher bürgerlichen Kulturinstitutionen auszuspielen gegen diejenigen, die sie in Verdacht haben, links-grün-alternativ versifft zu sein.
Zusätzliche Gelder erhalten Kunstverein, Literaturbüro und Wilhelm-Busch-Museum. Auf der Abschussliste stehen dagegen: Die linken Nervensägen vom Unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße, das erfolgreiche alternative Veranstaltungszentrum Faust und das Kargah.
Vor allem letzteres finde ich empörend. Eigentlich ist das Kargah (persisch für „Werkstatt“) nämlich eine sensationelle Erfolgsgeschichte. 1980 von Exil-Iranern als Selbsthilfeeinrichtung gegründet, bietet der Verein mittlerweile ein beeindruckend umfangreiches Beratungs- und Bildungsangebot für Geflüchtete und Migrantinnen aus allen möglichen Ländern.
Kulturarbeit darf nicht eingespart werden
Und gerade die Kulturarbeit dient eben dazu, nicht nur die verschiedenen individuellen Problemlagen zu beackern, sondern den transkulturellen Austausch zu fördern – mit mehrsprachigen Lesungen, Konzertreihen oder Begegnungscafés.
Es geht hier darum, die politische Bildung voranzutreiben, Demokratieförderung zu betreiben, Spaltungen, Polarisierungen, Vorurteilen zu begegnen. Ich weiß nicht, wie man gestrickt sein muss, um das in der gegenwärtigen Lage für überflüssig und verzichtbar zu halten.
Aber ausgerechnet hier sollen jetzt mal eben 53.000 Euro eingespart werden. Also praktisch das komplette Kulturprogramm. Das bedeutet wohlgemerkt nicht, dass die Deutschkurse wegfallen, die Härtefallberatung oder das Beratungsangebot für Frauen, die von Zwangsheirat bedroht sind – das sind Dinge, die aus anderen Töpfen finanziert werden.
Aber es reiht sich ein in andere Meldungen aus diesem Bereich – und immer hat die SPD ihre Finger im Spiel: Mal stehen auf Bundesebene die Mittel für die Integrationskurse zur Disposition, mal verhaken sich die Region Hannover und die Landesregierung bei der Sprachförderung für Grundschulkinder.
Große Anti-Integrationsoffensive folgt
Man wird das Gefühl nicht los, dass auf die große Anti-Migrationsdebatte unweigerlich die große Anti-Integrationsoffensive folgt. Das hängt mal daran, dass man immer findet, die andere Ebene müsste das jetzt aber finanzieren.
Und noch öfter hängt es daran, dass man findet, man hätte jetzt echt genug Geld für diesen Bereich ausgegeben. Im Ergebnis ist es dasselbe: Man lässt Integrationsbemühungen vor die Wand fahren und am Ende profitiert der Rechtspopulismus.
Es ist vielleicht naiv, von der SPD etwas anderes zu erwarten, aber eigentlich gehörte so was mal zu ihrer DNA: soziale Mobilität, Aufstieg durch Bildung, Integration – das war ein Feld, das von Gewerkschaften und Sozialdemokraten bespielt wurde.
Ist das alles jetzt nur noch so ein unpopuläres grünes Scheißthema, mit dem man nichts mehr zu tun haben will? „Diese Partei hat schon lange ihren politischen Kompass verloren“, sagte neulich jemand zu mir. Das stimmt wohl leider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit