Ungarns Fidesz-Partei und CDU/CSU: Stillhalten mit Orbán
Europa findet kein Gegenmittel gegen den reaktionären Kurs von Viktor Orbán. Das liegt auch am Machtinteresse von CDU und CSU im EU-Parlament.
V or unseren Augen verwandelt sich Ungarn in einen illiberalen, reaktionären Staat. Dabei geht es nicht nur um die ungarische Asylpolitik, die der Europäische Gerichtshof am Donnerstag erneut als rechtswidrig verurteilt hat. Regierungschef Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei krempeln auch die Familienpolitik, die Hochschulen und die Medien um, um ihre Macht zu festigen.
Doch die Europäische Union findet kein probates Gegenmittel. Die höchstrichterlichen Urteile verpuffen ohne Wirkung, ein Artikel-7-Verfahren wegen Verstoßes gegen die Grundwerte verlief ergebnislos im Sande. Selbst der neue Rechtsstaatsmechanismus, der das EU-Budget vor Missbrauch schützen soll, kommt zu spät. Bis er endlich greift und Finanzhilfen an Ungarn gekürzt werden, dürften noch Monate, wenn nicht Jahre vergehen.
Wer nach Gründen fragt, muss nicht lange suchen: Sie liegen bei der CDU/CSU und ihrer Führung. Erst hat die CSU jahrelang ihre schützende Hand über Orbán gehalten. Dann hat sich Angela Merkel auf Händel mit Orbán eingelassen. Bei einem dieser Deals wurde die neue Rechtsstaatsklausel entschärft.
Und nun hat offenbar CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht nur durchgesetzt, dass das ungarische Militär mit deutschen Waffen ausgerüstet wird. Sie hat auch verhindert, dass Fidesz aus der konservativen Parteienfamilie EVP geworfen wird und es Sanktionen gegen EVP-Mitglieder setzt. So munkelt man jedenfalls in Brüssel. „Die Deutschen“, so heißt es im Europaparlament, hätten den überfälligen Schritt verhindert.
Merkels Handschrift
Was war passiert? Der Orbán-Vertraute Tamas Deutsch hatte EVP-Fraktionschef Manfred Weber beleidigt und in die Nähe der Gestapo gerückt. Österreicher, Niederländer und andere liberale Konservative forderten daraufhin seinen Rauswurf. Doch die deutschen Christdemokraten stemmten sich dagegen. Am Ende gab es nur einen Maulkorb für Deutsch und eine neue Gnadenfrist für die Fidesz-Partei.
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hinter dieser unmoralischen Fehlentscheidung die Handschrift von AKK und von Merkel zu erkennen. Beide wollen Orbán bei Laune halten – denn das ungarische Parlament muss noch das neue EU-Budget und den Corona-Aufbaufonds ratifizieren. Bis dahin, so heißt es in Brüssel, gilt ein Stillhalteabkommen. Erst wenn alles unter Dach und Fach ist, könne man endlich durchgreifen. Doch in Wahrheit geht es nicht nur ums Geld, es geht auch um die Macht. Ohne Fidesz würde die EVP ihren Status als größte Fraktion im EU-Parlament verlieren. CDU/CSU scheinen bereit zu sein, dafür die europäischen Werte zu verkaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen