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Und ewig echot es „Emotion!!!“

Das Melodram im Fernsehen heißt „Soap“ oder „TV-Movie“  ■ Von Heike-Melba Fendel

Schon seit einer Woche beschäftigt sich die Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin unter dem Motto „Tumult der Gefühle“ mit dem Melodram, zeigt einschlägige Kinofilme und lädt zu „Werkstadtgesprächen“. Gestern widmete sich die Veranstaltung dann u. a. sogar dem „Melo und TV“. Wir drucken den einführenden Vortrag

„Entschuldigen Sie, daß ich nicht weine“, sagte ein leicht angesäuerter Pedro Almodovar, als er auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes für seinen Film „Alles über meine Mutter“ „nur“ den Regiepreis erhielt, „aber ich bin Regisseur.“ Zuvor hatte der spanische Starregisseur erleben müssen, wie No names und Amateure fassungslos und von Weinkrämpfen geschüttelt die wichtigsten Preise entgegennahmen. Nicht-Weinen ein Ausdruck von Professionalität also? Zumal aus dem Munde eines Autorenfilmers, der seine Filme sehr nah am Melodram baut, läßt sich das auch programmatisch verstehen.

„Seife ist ..., wenn man keine hat, nimmt man Bimsstein“, lautet ein Merksatz des Kölner Kabarettisten Heinrich Pachl. Und „Melodram ist ..., wenn man keinen Erfolg hat, nimmt man Zynismus“, könnte ein Merksatz der deutschen Fernsehmacher lauten.

Zwei Programmformate bedienen die „Farbe“ Melodram prominent: Die Daily Soap und der TV-Movie. (Schrecklich technische Namen für Programme von solch emotionaler Opulenz, aber nachdem RTL als Pionier der Formatadaption Begriffsvorstöße wie „California Clan – die tägliche Langlaufserie aus den USA“ und selbst den „großen TV-Roman“ wieder zurückzog, ist keinem mehr was anderes eingefallen.) Nun soll Fernsehmachern auch weniger ein- als auffallen: was erstens die anderen anderswo erfolgreich machen nämlich, und zweitens, was die Zuschauer wollen – vor allem die Frauen, weil die länger leben und mehr weinen, weswegen sie weniger Herzinfakte kriegen, weshalb sie mehr Waschmittel kaufen. Deshalb gibt es Soaps, und es gibt sie lange schon.

Melodram „Soap“: Keine Information ohne Emotion

War das Melodram lange das Pfui-Genre der Cineasten, war die Daily Soap zunächst das Pfui-Format der Fernsehbranche: Vom Schulhof gezerrte girlies und boylies dilettieren in Ikea-für-Arme-Kulissen und beschwören große Gefühle, die den beschwerlichen Weg von bibles, futures, storylines über Drehbücher in die Episode gefunden haben. „Keine Information ohne Emotion“ lautet die Parole für die schreibenden Scharen, während die Produktionsfirmen die Grenzen ihrer Kapazitäten ebenso ausloten und ausreizen wie die Grenzen der emotionalen Progression. Mehr Gefühl hat kein Mensch, braucht kein Mensch.

Das gute alte Melodram versetzt den Menschen in seine großen Zustände. Die Daily Soaps dagegen lassen die Zuschauer einfach nur konsequent da oben baumeln und schubsen sie jeden Tag ein bißchen an. Wie man das macht, haben wir nicht von den USA gelernt, sondern vom Australier Reg Grundy, dessen Soap-Imperium auch vier der fünf deutschen Soaps unter dem „Grundy Ufa TV“-Label mitproduziert.

Was als Erfolgsprogramm für die Bewohner der ehemaligen Sträflingskolonie in ihrer „Boden ohne Volk“-Verbannung vom wahren Leben begann, das besteht auch hierzulande, wo wir vor lauter Mitbürgern das Mitgefühl nicht mehr sehen. Das Melodram im Soap-Gewand verlagert die Huhn-oder-Ei-Frage auf das Täter/Opfer-Schema. Die TV-Macher stellen mittels ihrer Programme unsere Gefühle her, die allerdings die Zuschauer gemäß dem Verursacherprinzip als Quotenvieh und Marktforschungsprobanden selber vorgeben. Dieses industrialisierte Emotionsrecycling erzeugt eine angenehm distanziert-temperierte Gefühlslage, wie sie sonst dem Voyeurismus und der Schadenfreude eigen ist.

So schossen etwa die Macher der „Verbotenen Liebe“ mit ihrem Titel ein Eigentor. Zwei Jahre hielt der titelgebende Inzest-Strang, bis eine der Hauptrollen ausstieg und sich die ARD-Werbung genötigt sah, die Zuschauer selbst zu fragen, wie sie es gern verboten hätten. Seither waren die verbotenen Lieben mal lesbisch, mal schwul, Klassen-, Zölibats- und Altersschranken brechend. Jetzt sind sie einmal durch: Mehr läßt sich bei uns an Liebe nicht mehr verbieten. Doch was macht das schon? Auch Dr. Sommer wird seit Jahrzehnten in der Bravo gefragt, ob man vom Onanieren blöd wird und vom Küssen schwanger.

Und so wie man in der Bravo alles über Sex erfährt, erfährt man in der Soap (zumal als Angehöriger der präferierten Zielgruppe der 14- bis 29jährigen) alles über große Gefühle. Der Punkt ist nur: Es gibt gar keine großen Gefühle, es gibt nur tiefes Empfinden. Ein Unterschied, den das Fernsehen, das sich stolz seiner industriellen Fertigungstechniken brüstet, schon gar nicht mehr machen kann und will. Also holt es Tag für Tag zur großen Geste aus, stellt das große Gefühl zur Schau wie Hollywood-Stars ihre Silikonbrüste: Künstlichkeit auf die Spitze getrieben.

Melodram „TV-Movie“: ein Nichtangriffspakt

Die große böse Primetime-Schwester, das TV-Movie blickt begehrlich auf das Erfolgsmuster der Kleinen, will auch so betrachtet werden, Geborgenheit im Ritual schaffen, den Frauen gefallen, die ihren Männern so gefallen, daß die gucken, was sie guckt. Aus jedem Fenster, das in jedem Sender dieser Republik geöffnet wird, tönt das Echo des Rufes „Emotion!!!“ Doch können die Rufer den Resonanzboden selten selber bilden. Weinen, da halten sie es mit Almodovar, ist unprofessionell. Und zu Hause lesen sie dann Harriet Rubins „Macchiavelli für Frauen“, wo als letzte Strategie (nach dem Einsatz theatralischer Outfits und aufrechter Haltung) der kalkulierte, entwaffnende Tränenausbruch empfohlen wird.

Beherzigte nun auch Frau Redakteurin diese Regeln, sie würde sich gebärden wie die melodramatische Heldin. Diese hat Macht über sich und andere nur dort, wo das Schicksal seinen Würgegriff lockert – was es selten tut. Und das Schicksal der Programmacher ist es, zwar Macht zu haben, aber fürchten zu müssen, mit deren Grenze konfrontiert zu werden. Gesichert wird diese Grenze wohl nur durch einen programmplanerischen Nichtangriffspakt auf die Gefühlslage der Empfinder, also der Zuschauer: Wir zeigen euch nichts, was ihr nicht mehrheitlich wollt; und ihr wollt nichts, was wir euch nicht zeigen.

Erfolg ist nichts Schlimmes, aber er kann auf Dauer nicht als Entschuldigung für alles herhalten. Erfolg ist kein Gefühl, sondern ein Aggregatzustand des Ehrgeizes – und damit keine melodramatische Größe. Die hat Pamela Anderson in ihrem real life-Melo bewiesen: Alle Männer kann sie haben, aber der eigene behandelt sie mies. Sie trennt sich mehrfach, endgültig. Jetzt hat sie Tommy Lee wieder aufgenommen und die Silikoneinlagen abgegeben. Arbeitstitel: Zwei Kissen für die Liebe.

Melodrams Zukunft: Natürlichkeit und Scham

Deflating ist das Gebot einer möglichen neuen Zeit, scheint es: runterkochen, eine Nummer kleiner werden, das Rad zurückdrehen. Die Doku-Soap sagt zur richtigen Soap: Ich bin wie du, nur viel natürlicher. Die schlitzohrigen dänischen Dogma-Filmer wie Thomas Vinterberg (“Das Fest“) sagen der internationalen arthouse crowd: Wir machen professionell unprofessionelle Filme, die uns gefallen und deshalb auch euch zu gefallen haben. Und wenn selbst das oben erwähnte (und gewiß keiner Mainstream-Feindlichkeit verdächtige) Cannes-Festival drei Laien als beste Darsteller auszeichnet, dann haben die wirklich was zu weinen. Und vielleicht sollten die „Professionellen“ mal anfangen, sich dafür zu schämen, daß sie nicht weinen. Schließlich würde diese Scham das Ende der Macht markieren – und den Beginn des Melodrams.

Die Autorin ist Film-, Fernseh- und Programmkritikerin sowie Geschäftsführerin der Kölner Agentur „Barbarella Entertainment“

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