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Und dann: Kanzler

von STEFAN KUZMANY

Der Mann ist erledigt. Ehemalige Parteifreunde fordern seinen Rückzug. Düsseldorfer Staatsanwälte suchen Beweise, um ihn wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz anzuklagen. Die deutsche Presse ist sich einig: Der Fallschirm springende Liberale aus dem Münsterland wird die jüngsten Querelen um seine Person politisch nicht überleben. Die undurchsichtige Finanzierung eines antiisraelischen Flugblatts beendet die Karriere des Jürgen W. Möllemann. Doch die deutsche Presse irrt.

Schock im Luxusflieger

Auf der Suche nach mehr und alternativen Informationen ging die taz ins Internet und machte dort ungeahnte Entdeckungen. Sie dokumentiert: Der Skandal um Jürgen W. Möllemann ist nicht nur eine FDP-interne Politposse, sondern auch Kristallisationspunkt bizarrer Ungereimtheiten, fantastischer Widersprüche, verschwiegener Hintergründe und strategischer Geheimaktionen. Schnell sagt man, die FDP sei ohne Jürgen W. Möllemann nicht mehr die, die sie einmal war. Doch es war auch mit ihm schon zu vieles ganz anders. Recherchen der taz legen nahe: Seit fast zehn Jahren plant Jürgen W. Möllemann die Demontage der liberalen Partei. Sein Ziel: eine politische Bewegung unter seiner Führung. Der aktuelle Wirbel: vorläufiger Höhepunkt einer so genialen wie verwirrenden Inszenierung. Was viele dem „Quartalsirren“ (Otto Graf Lambsdorff) niemals zugetraut hätten: Möllemann hatte einen Plan. Und der scheint aufzugehen.

Anfang Januar 1993. Helmut Kohls Wirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann befindet sich samt Familie auf dem Rückflug von einem Trip in die Karibik. An Bord des luxuriösen Ferienfliegers laufen deutsche Nachrichten. Entsetzt erfahren Möllemann und seine Gattin, dass die ganze Republik seinen Rücktritt diskutiert. Möllemann spuckt seinen Tomatensaft wieder aus. Er ist in eine Falle geraten. In eine Falle der FDP. Der Hass hält Einzug im Herzen des sonst so sanften Schnauzbartträgers.

Vorangegangen war eine Bagatelle. Der „Luftikus“ (Süddeutsche Zeitung) hatte mit dem Briefkopf seines Ministeriums für Plastikchips geworben, die das Kleingeld für den Einkaufswagen ersetzen sollten. Möllemann nannte die Idee „pfiffig“, der Chipproduzent war ein angeheirateter Vetter. Der Stern deckte auf. Eigentlich kein Rücktrittsgrund: „Diesen Fehler hätten die Leute mir nachgesehen, wenn ich zu ihm gestanden hätte. Es war ja an sich nichts Schlimmes“, vertraute Möllemann Jahre später Journalisten an. Doch der „Tausendsassa“ (taz) war geschwächt, ausgezehrt vom Regierungsamt. Er stellte sich nicht den Vorwürfen der Öffentlichkeit, sondern floh in die Dominikanische Republik – in ein Haus ohne Telefon. Aus einer Telefonzelle rief er Tage später Otto Graf Lambsdorff an – den Mann, dem er auf dem Höhepunkt der Flick-Spendenaffäre die Treue gehalten hatte. Den Mann, der ihn nun verraten sollte. „Soll ich zurückkommen?“, fragt Möllemann. Lambsdorff zögert kurz, und obwohl er weiß, wie hoch die Wogen daheim schon schlagen, rät er: „Nein, nein, bleiben Sie mal da.“ Möllemann bleibt. Erst sein väterlicher Freund Hans-Dietrich Genscher holt ihn zurück in die Heimat. Doch da ist es bereits zu spät.

Mit dem Führer ins Wahldebakel

Seit jenen finsteren Januartagen des Jahres 1993 war dem „Quertreiber“ (Freitag) klar: Er würde es der FDP heimzahlen. Er würde sie zerstören und auf ihren Trümmern eine neue Partei errichten. Doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis er dazu Gelegenheit bekam.

Für sein Werk, für den Aufbau einer neuen Sammlungsbewegung, fehlten dem ehemaligen Grundschullehrer die Finanzen. Doch auf Möllemanns zahlreichen Reisen in den arabischen Raum hatte er schon früh Kontakte zu potenten Geldgebern geknüpft. Bereits 1979 führte Möllemann das erste Gespräch mit Arafat. Bemerkenswert: Kurz danach gab es viel Wirbel um Möllemanns Kritik an Israel, dem er „Staatsterrorismus“ vorwarf. Floss als Dank damals schon Geld von saudischen Scheichs?

Sicher scheint nur: Möllemann hat beste Beziehungen ins Morgenland. Über seine Düsseldorfer Firma Web/Tec vermittelt er seit Jahrzehnten lukrative Geschäfte zwischen arabischen und europäischen Geschäftsleuten. Im Amt des Vorsitzenden der Deutsch-Arabischen Gesellschaft ist der „Halbseidene“ (Frankfurter Hefte) als Lobbyist tätig. Nie auf eigene Rechnung? Kaum zu glauben. Der Verdacht drängt sich auf: Der eigentlich in dieser Frage völlig ambivalente Möllemann muss hin und wieder gegen Israel ausfällig werden, um seine Geldgeber bei Laune zu halten.

16. Juni 2000. Zum Auftakt des FDP-Bundesparteitags in Nürnberg bekräftigt der Vorsitzende Wolfgang Gerhardt seinen Führungsanspruch. Er distanziert sich von Möllemanns Vorschlag, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen, und lehnt auch dessen „Projekt 18“ ab, das die FDP als Volkspartei etablieren soll. Doch der „Verbalaktionist“ (Tagesspiegel) bleibt hartnäckig. Ein knappes Jahr später ist Gerhardt aus dem Amt verdrängt. Sein Nachfolger ist ein Mann nach Möllemanns Geschmack: die Marionette Guido Westerwelle. Das „Projekt 18“ wird Parteistrategie, Westerwelle Kanzlerkandidat.

Schon hier zeigt sich Möllemanns Genialität: Während Guido allen Ernstes glaubt, mit der Positionierung als „Spaßpartei“ seien Stimmen für die FDP zu gewinnen, weiß Möllemann genau: „18 %“-Socken, „18 %“-Krawatten und das gelbe „Guidomobil“ eines lächerlichen Volleyballkandidaten werden selbst dem dümmsten Wähler zu dumm sein. Die Zahl 18 ist dabei mit Bedacht gewählt. Als potenzielles Wahlergebnis ist sie völlig utopisch. Sie dient allein als Signal an Möllemanns antiisraelische Geldgeber: Die „1“ steht für den ersten, die „8“ für den achten Buchstaben des Alphabets: AH. Ausgeschrieben: Adolf Hitler. Die arabischen Hintermänner sehen es gern, die deutschen Wähler sind geschockt.

Doch der „Profilneurotiker“ (Jesus online) ist unzufrieden: Kontinuierlich hält sich die FDP in den Umfragen zwischen 8 und 9 Prozent. Aber Möllemann will sie unter 5 sehen. Zusätzlich wird ihm von den Arabern der ehemalige Grünen-Abgeordnete Jamal Karsli untergeschoben. Möllemann kündigt an, ihn in die FDP-Fraktion aufzunehmen. Wegen Karslis israelkritischer Äußerungen kommt es zum Streit zwischen Möllemann und dem beliebten TV-Moderator Michel Friedman. Möllemann ahnt da schon: Das kostet keine Stimmen, das bringt welche. Entsetzt muss er feststellen: Im Mai 2002 liegt die FDP bei 12 Prozent. Damit hat der „stanniolverpackte Osterhase ohne Schokoladenfüllung“ (Rainer Brüderle) nicht gerechnet. Es muss etwas geschehen.

Petrus hilft. Im August lassen sintflutartige Regenfälle im Osten der Republik die Dämme brechen. Tausende Menschen werden obdachlos. Schröder und Stoiber besuchen das Krisengebiet, zeigen Betroffenheit. Möllemann bringt Westerwelle dazu, sich zu verweigern, nicht hinzufahren, sondern weiter Beachvolleyball zu spielen. Möllemann sieht die FDP zufrieden wieder auf dem von ihm gewünschten Kurs: nach unten. Doch bei 8 Prozent kommt der kalkulierte Absturz ins Stocken. Zudem droht Ärger aus dem Nahen Osten: Die Scheichs drängen auf eine neue antiisraelische Aktion. Sonst würden sie den Geldhahn zudrehen.

Das geniale Finale

Was jetzt folgt, wird von vielen Beobachtern irrtümlich als grober Schnitzer Möllemanns ausgelegt. Er besorgt sich 840.000 Euro von den Arabern, um damit ein deftiges antiisraelisches Faltblatt zu produzieren und zu verteilen. Der darauf sicherlich folgende parteiinterne Streit, denkt Möllemann, werde so kurz vor der Wahl zu herben Stimmenverlusten der FDP führen. Doch anders als sonst verschleiert Möllemann nur sehr dürftig die Herkunft der Scheich-Spende, stückelt sie in Kleinbeträge und zahlt sie persönlich bei zahlreichen Banken ein. Auf die Quittungen schreibt er Fantasienamen – dass hier etwas nicht stimmt, lässt sich schon bei oberflächlicher Prüfung feststellen. Wer hier einen Fehler des „Stehaufmännchens“ (WDR) sieht, irrt. Denn wäre der Spendenschwindel noch vor der Wahl aufgeflogen, hätte das viele Stimmen gekostet – ganz im Sinne Möllemanns. Wenn er erst später auffliegt – auch gut. In jedem Fall muss die verhasste FDP zahlen.

22. September 2002. Die FDP erringt 7,4 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl. Das sind 1,1 Prozent mehr als 1998. Und trotzdem steht die FDP als Verliererin da, mit einem düpierten Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Westerwelle. Möllemann, das Kommunikationstalent, hat das Unmögliche möglich gemacht: Er hat einen Sieg wie eine Niederlage aussehen lassen.

Die Gegenwart. Wie geplant eskaliert der Streit um das Faltblatt. Der „Riesenstaatsmann Mümmelmann“ (F. J. Strauß) muss aus dem Bundesvorstand und vom Vorsitz der FDP in Nordrhein-Westfalen zurücktreten. Seine Stellvertreter Andreas Pinkwart und Ulrike Flach beginnen sofort, sich gegenseitig zu demontieren. Die NRW-FDP ist ein Trümmerhaufen. Die Araber sind zufrieden. Ideal für Möllemann. Auf Gran Canaria schmiedet er Pläne für seine neue Partei, „Die Freien“. Erst wird er ihr Vorsitzender. Und dann: Kanzler.

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