: Unbitteres Erinnern
■ Lenka Reinerovas Prager Spuren
Doch, das gibt es: Orte, die nicht nach Bleiben riechen; Städte, die einen ungelesen wieder ausspu-cken. Bei der Pragerin Lenka Reinerova war's anders: Sie hatte immer das Talent, sich heimisch zu fühlen, hat sich bemüht, Vertrautheit mit Straßen und Möbeln des Exils herzustellen, wohl wissend, dass Materie nur bedingt Identität stiften kann.
Dabei kann man nicht behaupten, dass die inzwischen 84jährige, letzte lebende deutschsprachige Prager Autorin, deren Lesung die Feiern zum zehnjährigen Jubliläum der Hamburg-Prager Städtepartnerschaft bereichert, es leicht gehabt hätte: Als kommunistische Jüdin war sie 1939 aus Prag über Frankreich und Marokko geflohen – Länder, in denen sie sie insgesamt drei Internierungslager durchleiden musste, bevor sie in Mexiko eine Bleibe fand.
Über Belgrad kehrte sie 1948 nach Prag zurück, arbeitete abermals als Journalistin und verbrachte Anfang der 50er Jahre 15 Monate in stalinistischer Unterschungshaft; es folgte die Verbannung in die Provinz. Später musste sie nochmals Berufs- und Schreibverbot ertragen, nachdem Panzer 1968 den Prager Frühling erstickt hatten.
Und trozdem: Traumcafé einer Pragerin und Mandelduft lauten die poetischen Titel ihrer autobiografischen Erzählungsbände; Zu Hause in Prag, manchmal auch anderswo heißt ihr neues Buch, aus dem sie in Hamburg lesen wird. Und merkwürdig ist, was man vorfindet in den sanft ironischen Texten, die vor allem wegen ihres heiteren Grundtons bereichern: Denn in den Berichten jener Frau, die Egon Erwin Kisch, Max Brod und Anna Seghers kannte und mit Theodor Balk verheiratet war, findet sich keinerlei Bitterkeit.
In gemächlichem Pragerdeutsch hat sie ihre sanft ironischen Erzählungen verfasst; im jüngsten Band versucht sie außerdem, stream-of-consciousness-gleich mit der Londoner Obdachlosen Virginia (alias Woolf?) über Heimatlosigkeit zu reflektieren. Und ihr Gegenüber zu fragen, ob es einen Ausweg gäbe – so, wie Reinerova in der halbjährigen Isolationshaft des französischen Frauengefängnisses den Notausgang „Schreiben“ erfand.
Petra Schellen
Lenka Reinerova: Zu Hause in Prag, manchmal auch anderswo. Aufbau Berlin 2000, 190 Seiten, 29,90 Mark.
Lesung: 10.10., 19 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe
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