Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Laut Amt erwachsen
Ein junger Geflüchteter erzählt über seine Flucht von Afghanistan nach Deutschland. Seine Geschichte ist beispielhaft für das Schicksal vieler.
Die taz trifft Nagiballah Hashimi (15) am Rande einer Demonstration für die Rechte unbegleiteter Geflüchteter. Er ist einverstanden, uns von seine Geschichte zu erzählen.
„Ich komme aus Ghazni, Afghanistan. Seit neun Monaten bin ich in Deutschland. Solange mein Vater noch gelebt hat, war ich glücklich in Afghanistan, aber die Taliban haben ihn getötet. Er hatte vor ihrer Machtergreifung mit der Regierung zusammengearbeitet. Weil auch wir in Angst waren, dass die Taliban uns etwas antun könnten, hat meine Mutter beschlossen, mich wegzuschicken.
Zuerst bin ich in den Iran gegangen und dort vier Monate lang geblieben. Danach ging es über die Grenze in die Türkei und mit dem Boot nach Italien. Die Schleuser, die mich über das Meer bringen sollten, verlangten aber mehr Geld, als wir vereinbart hatten, deshalb haben sie mich entführt. Tagelang konnte ich kein Sonnenlicht sehen. Meine Familie musste den Schleusern Geld schicken, bevor sie mich freigelassen haben.
Die Überfahrt nach Italien hat neun Tage gedauert, drei Tage davon ohne Essen und Trinken. Ich dachte, ich sterbe.
In Deutschland musste ich lange in einem Heim warten, bevor ich zum Amt gebracht wurde. Das sollte beurteilen, ob ich schon volljährig bin. Ich bin 15, habe aber keine Beweise für mein Alter, weil meine Geburtsurkunde in Afghanistan geblieben ist. Die Behörde kam zum Schluss, ich sei schon über 18.
Seit ich hier bin, bleibe ich die ganze Zeit zu Hause. Ich besuche keinen Deutschkurs, weil mir das nicht erlaubt wurde, ich gehe nicht zum Fußball, weil ich nicht darf. Freunde habe ich keine.
Wenn der deutsche Staat mich dabei unterstützt, will ich aber meine Familie herholen: Meine Mutter und meine Geschwister haben Afghanistan ebenfalls verlassen, sie leben jetzt in Pakistan. Aber auch dort sind sie nicht in Sicherheit. Geld haben sie keines; alles was sie hatten, haben sie verkauft, um mich hierher schicken zu können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“