Umzug von der Stadt aufs Land: Geistige Mülltrennung
Was bedeutet es, von der Großstadt aufs Land zu flüchten – ins Nichts sozusagen? Über ein Lebensexperiment mit offenem Ausgang.
ber die Sache mit meinem neuen Landleben gibt es zwei Erzählungen. Meistens halte ich mich an diese hier: Es war unterm Strich billiger, die winzige Stadtwohnung gegen ein mittelgroßes Haus mit riesigem Garten einzutauschen, und der Weg zur Arbeit ist auch viel kürzer, als man meinen könnte.
Aber obwohl ich diesen Satz routiniert abspulen und ausschmücken kann, ging es beim Auswandern an den Acker nie ums Geld – und ehrlich gesagt auch gar nicht so sehr um mehr Platz für die Kinder. Es war eher der Versuch einer geistigen Mülltrennung, also Lohnarbeit und Kulturbetrieb abzuspalten, beides weit weg in der Großstadt zu lassen, um draußen an der frischen Luft später rauszufinden, was dann übrig bleibt: das Leben vielleicht? Und was das eigentlich heißen soll.
Dass ich die schwülstige Variante meist für mich behalte, liegt daran, dass sie mir natürlich peinlich ist. Immerhin heißt die verlassene Metropole Bremen und hatte immer schon eine gewaltige Schlagseite zum Dorf. Na ja, und so wahnsinnig originell war die Idee dann ja auch gar nicht, wie die Horden von Pendler:innen beweisen, die jeden Morgen an Gleis 1 in die Stadt fahren und nachmittags am zweiten Bahnsteig zurückkommen.
Engere Kontakte hab ich vermieden und sie trotzdem alle auch ohne Handschlag kennengelernt: „Bananas“, der sein Fahrrad erst abschließt, wenn der Zug schon einrollt, „Edel“ mit seinen sechs Sakkos, „Grishnákh“ und sein Telefon, über das er seine Angestellten jeden Morgen sonderbar gönnerhaft anpöbelt. Und natürlich „Strumpf“, die ihre Ausbildung zur Irgendwas richtig scheiße findet und damit wohl auch recht hat, nach allem, was man so hört.
Vorläufig gescheitert ist mein Lebensexperiment aber nicht an den Mitreisenden, sondern wegen Corona: weil die Lohnarbeit doch schneller nachgezogen kam, als einem lieb sein kann. Die Oase wurde zum Homeoffice, die fußläufig gelegene Grundschule geschlossen – und plötzlich ist es auch hier draußen sehr eng. Nur ging das ja allen so und war in der Stadt noch viel schlimmer. Das weiß ich auch. Selbst mit den Einschränkungen ließ es sich aushalten, seit der Landrat erst die Spargelsklav:innen des Nachbardorfs aus der Inzidenz des Kreises hatte rausrechnen lassen.
Mit Grishnákh in den Hexenkessel
Ich komme überhaupt nur auf Corona, weil der Moment so greifbar war, als der Horror immerhin emotional verebbte: ein Stromausfall am Nachmittag, ein schwarzer Bildschirm, wo eben noch vier Seiten taz vor sich hin flimmerten, die so langsam doch fertig werden und zur Druckerei müssten. Das Festnetztelefon bleibt stumm, der Akku des mobilen ist fast leer – und findet hier eh kaum Netz.
Also zum Bahnhof, wo zunächst auch nichts passiert, weil die Signale erst wieder leuchten müssen. Doch in knapp 20 Minuten gerät der über eineinhalb Jahre ausgesetzte Prozess der Zivilisation wortwörtlich wieder aufs Gleis: Bananas rast schlecht rasiert heran, Edel in Shorts – zusammen wieder rein in den Bremer Hexenkessel. Die Wut auf den örtlichen Stromanbieter ist schnell ausgetauscht und weicht jenen belanglosen Gesprächen, die zwar nerven – von denen man sich aber auch hätte weiter wegsetzen können, wer es ehrlich meint mit der Ignoranz.
Sie wollen jetzt wieder öfter fahren, beschließen sie, wenn die Firmen mitmachen. Betont beiläufig erkundige ich mich nach den anderen und weiß nun: Grishnákh ist Vater geworden und Strumpf wohl krank – zum Glück aber nichts Ernstes. Sie ist sonderbar aufbauend, diese Fahrt. Und sie lässt – so von wegen schwülstig – die Hoffnung aufkeimen, dass es doch noch losgehen könnte: das Nichts auf dem Land.
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