Umweltschützer gegen Asse-Entschädigung: Mitreden ist Gold
Der Bund will die Anwohner des Atommülllagers Asse entschädigen. Geld allein bringe nichts, sagen Umweltschützer. Die Bevölkerung müsse beteiligt werden
GÖTTINGEN taz | Vorbild ist der Schacht-Konrad-Fonds: Wie bereits die Anwohner des geplanten Endlagers im Schacht Konrad in Salzgitter, sollen nun auch die Nachbarn des Atommülllagers Asse finanziell entschädigt werden. Und zwar für Nachteile, die durch die Einlagerung radioaktiver Abfälle in das ehemalige Kalibergwerk im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel entstanden sind und noch entstehen können. Eine Million Euro wird der Bund als Besitzer und Betreiber der Grube bereits in diesem Jahr zahlen, ab 2015 sollen es dann jedes Jahr drei Millionen Euro sein. Dieses Geld soll so lange fließen, bis der gesamte Atommüll aus der Asse geborgen ist. Wie, von wem und vor allem an wen diese Mittel konkret vergeben werden sollen, ist noch unklar.
„Geld verteilen alleine löst keine Probleme“, stellt die Wolfenbütteler Atom-Ausstiegs-Gruppe (WAAG) fest. Die WAAG ist eine in der Region um die Asse herum aktive Initiative. Die pauschalen Zahlungen des Bundes seien weder ein Ausgleich für tatsächlich entstandene Nachteile noch dürften sie dazu führen, dass Belastungen damit gerechtfertigt und „quasi abgekauft“ würden. Es müsse stattdessen kontinuierlich untersucht werden, welche Risiken es überhaupt gebe, welche Entwicklung die Asse-Region nehme, wie negativen Entwicklungen entgegengesteuert werden könne und wie nicht vermeidbare Nachteile ausgeglichen werden könnten. Und zwar über das Ende der Räumung hinaus.
Vorrangig zu prüfen sind laut WAAG gesundheitliche Risiken für Anwohner und Beschäftigte der Asse. Aber auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen des Asse-Betriebs müssen ausgewertet werden – die Immobilienpreise in der Region sind bereits im Keller, der Fremdenverkehr liegt brach und es gibt viele Leerstände. Nicht wenige Anwohner befürchten, dass bald weitere Lebensbereiche wie die Versorgung mit Kindergärten, Schulen und Arztpraxen betroffen sein könnten.
In das frühere Salzbergwerk Asse II wurden zwischen 1967 und 1978 insgesamt rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll sowie Chemieabfällen gebracht. Weil die Grube instabil ist und einzustürzen droht, sollen die Abfälle an die Oberfläche geholt werden. Die Nachbarschächte Asse I und Asse III waren schon früher voll Wasser gelaufen.
Der Asse-Fonds: Bei ihrem Besuch im Frühjahr hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) eine Million Euro pro Jahr für den Asse-Fonds in Aussicht gestellt. Im Sommer legte das Ministerium nach: Ab 2015 sollen jedes Jahr drei Millionen Euro fließen.
Der Schacht-Konrad-Fonds: Durch diesen Fonds sollen Initiativen, Verbände und Vereine aus der Umgebung von Schacht Konrad für Nachteile entschädigt werden, die durch den Bau und späteren Betrieb des Atommüllendlagers entstehen. Die hauptsächlichen Nutzer des Endlagers, also die Atomwirtschaft und der Bund, wollen in den nächsten 35 Jahren insgesamt 100 Millionen Euro in den Fonds einzahlen.
Die Atomkraftgegner drängen zudem darauf, dass ein Zukunftsrat eingerichtet wird, der über die Vergabe der Gelder entscheidet. Dieses Gremium „darf nicht aus politischen Mandatsträgern zusammengesetzt“ sein, sondern müsse mit Vertretern verschiedener Bevölkerungsgruppen besetzt werden, verlangt die WAAG. Auf diese Weise könne am besten gewährleistet werden, dass Risiken und Nachteile aus dem Betrieb des Atommülllagers „nicht dem politischen Kalkül zum Opfer fallen“. Außerdem käme so bei der Vergabe der Mittel nicht der Beigeschmack von großzügigen Wahlgeschenken auf. Der Zukunftsrat soll nach dem Willen der WAAG öffentlich tagen und regelmäßig über seine Arbeit informieren.
Die WAAG hat ihre Vorschläge jetzt der Wolfenbütteler Landrätin Christiana Stienbrügge (SPD) und den Kreistagsfraktionen unterbreitet. In ihrem Schreiben fordern die Umweltschützer, mit Blick auf den Asse-Fonds keine Fakten zu schaffen, ohne die Bevölkerung zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das sei wiederum nur im Rahmen einer öffentlichen Informationsveranstaltung möglich. So könne Transparenz und Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden.
Im Atommülllager selbst hat sich unterdessen an einer Stelle der Zufluss von salzhaltiger Flüssigkeit erhöht. An dem Beobachtungspunkt in 750 Meter Tiefe werden jeden Tag rund 500 Liter Flüssigkeit aufgefangen, teilte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mit. Bis vor Kurzem waren täglich lediglich 200 Liter in den betroffenen Bereich geflossen.
Die eindringende Lauge sei aber nicht radioaktiv belastet und die Zuflussstelle liege auch nicht in der Nähe der Kammern mit Atommüll, erklärte das BfS. Insgesamt laufen jeden Tag rund 12.000 Liter Salzlösung in das Atommülllager. Woher diese Flüssigkeit stammt, ist nicht genau bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten