Umweltpolitik in Europa: Noch mehr Zumutungen, bitte!
Ob es höhere Spritpreise in Frankreich, eine CO2-Steuer oder Fahrverbote in Deutschland sind: Es tut noch nicht weh genug.
S ie ist Akkordeonspielerin, Hypnosetherapeutin, fährt einen uralten Volvo – eine „ganz normale“ 51-Jährige namens Jacline Mouraud schafft es derzeit, die Beliebtheitswerte von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron immer tiefer in den Keller zu schicken. Die renitente Bretonin ist mit einem Handyvideo, in dem sie die „Hetzjagd auf Autofahrer“ beklagt, zur medialen Ikone einer neuen Wutbewegung geworden.
An diesem Samstag sollen Straßenblockaden das ganze Land – immerhin die sechstgrößte Industrienation der Welt – lahmlegen. Grund des Aufruhrs: Angeblich will Macron Frankreichs Autofahrer mit der Anhebung der Dieselsteuer ab Januar „melken“. Diesel koste in Frankreich ja schon 1,90 pro Liter.
Man kann Macron auch in dieser Sache nur ein starkes Rückgrat wünschen. Ein Blick nach Berlin zeigt: Hier kuschen die Umweltzwergenpolitiker weiter vor Industrie und konservativen Medien, um nur ja keinen ähnlichen Aufstand zu provozieren. Es herrscht die Angst vor der Vernunft.
„Unverhältnismäßig“ sei das von einem Verwaltungsgericht verhängte Fahrverbot für alte Diesel auf dem deutschen Großheiligtum Autobahn, der A 40 im Stadtgebiet von Essen, teilt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) via Bild mit. Dann wird er noch expliziter: „So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.“
Ähnlich argumentierte erst vor wenigen Tagen Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) in derselben Publikation: „Wir werden auch ohne CO2-Abgabe unsere Klimaziele bis 2030 erreichen“, soufflierte sie zum Bild-Aufmacher. Die Schlagzeile: „SPD-Ministerin plant Sondersteuer auf Benzin und Heizöl.“ Dabei hatte Svenja Schulze (SPD), Chefin des Umweltressorts, nur laut darüber nachgedacht, zur Vollendung der Energiewende eine CO2-Steuer zu erheben. Um die Ärmeren zu schonen, will sie sogar gleichzeitig die Stromsteuer senken.
Salbe auf eine schwärende Wunde
Die Attacken der Konservativen auf das Legalitätsprinzip allein zum Machterhalt sind billig. Expertenwissen stört sie nur: Eine Mehrbelastung fossiler Brennstoffe wird von Fachleuten einhellig gefordert, auch von den Umweltministern der Länder: Dabei geht es um die Einhaltung der Klimaziele, letztlich um die Rettung der Erde. Die hat Deutschland in Paris 2015 abgenickt, zickt aber bei der Umsetzung. Da höhere Energiepreise eine unheilige Allianz von ADAC bis Focus und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erzeugen, haben es Weltretter schwer.
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Bei der Autobahn geht es sogar um EU-weit seit neun Jahren gültige Stickoxidwerte, für deren Einhaltung das Bundesverwaltungsgericht im Februar Fahrverbote explizit erlaubt hat. Zwar gibt es schon mehr als zehn Urteile für verschiedene Großstädte. Aber: Gültig ist bislang erst ein Fahrverbötchen mit unzähligen Ausnahmen und Umfahrungsmöglichkeiten in Hamburg. In vielen Städten wird weitergeklagt – oder zugewartet, ob nicht vielleicht auch ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern hilft.
Dabei ist allen klar: 30 km/h sind nur Salbe auf eine schwärende Wunde. Das ist die Krux der Umweltpolitik: Schon wer darüber zu konkret nachdenkt, verliert – man denke an die Delegiertenkonferenz der Grünen 1998 mit ihren 5 Mark pro Liter Benzin. Dabei bräuchten wir viel mehr und härtere Zumutungen à la Macron: In Deutschland kostet der Diesel noch nicht mal 1,50 Euro.
Der Ruf nach dem Ökodiktator
Wir wundern uns über Tausende Tote durch Dieselstinker, die schmelzende Arktis, in Korallen treibendes Plastik und den zauberhaft sonnigen November. Gleichzeitig aber werden Akteure der Umweltpolitik rituell mit Schmutz beworfen. In den Umfragen stehen die Grünen zwar gut da, aber wehe ihnen, wenn sie ihr Programm umsetzen sollten.
Der Ruf nach dem Ökodiktator, der das einfach alles durchdrückt, was der Umwelt hilft, ist philosophisch – und unrealistisch. Fast 80 Prozent der Deutschen hält es für „äußerst problematisch“, wie der Mensch die Natur behandelt. Dass er selbst die größte Zumutung ist, merken wir aber wohl leider erst, wenn es richtig weh tut.
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