Umweltorganisation über das StVG: „Das ist ein solides Fundament“

Mit dem neuen Straßenverkehrsgesetz hätten Kommunen mehr Spielraum, sagt Janna Aljets von der Agora Verkehrswende.

Eine Radfarerin wirft einen Schatten, sie fährt auf einem roten Radweg von oben aufgenommen

Mehr Platz für Radfahrende? Die Reform des StVG könnte die Planung von Kommunen vereinfachen Foto: Paul Langrock

taz: Frau Aljets, am Mittwoch soll die Reform des Straßenverkehrsgesetzes vom Bundeskabinett beschlossen werden. Die Regierung hat im Koalitionsvertrag mehr Raum für Kommunen bei der Verkehrsgestaltung versprochen. Hält sie das ein?

Janna Aljets: Die Bundesregierung macht zumindest den ersten notwendigen Schritt in diese Richtung. Mit der Reform sollen Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung als Ziele ins Straßenverkehrsgesetz aufgenommen werden. Sie sollen gleichberechtigt neben die Ziele Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs gesetzt werden, die bislang allein im Gesetz stehen. Die bisherige Zielsetzung führt dazu, dass das Auto faktisch privilegiert wird.

ist Projektleiterin Städtische Mobilität bei der Denkfabrik Agora Verkehrs­wende. Sie entwickelt Strategien für die urbane Verkehrswende und vernetzt kommunale Akteur:innen.

Was kommt nach dem ersten Schritt?

Was folgen muss, ist eine umfassende Reform der Straßenverkehrsordnung, der StVO. Dort ist sehr restriktiv geregelt, wann zum Beispiel die Leichtigkeit des Verkehrs, also in der Praxis oft umgesetzt als das Vorrecht des Autos, eingeschränkt werden kann. Das sind die Verkehrsregeln, nach denen wir uns alle richten. Das sind auch die Regeln, nach denen Kommunen Verkehrsplanung machen müssen. Erst wenn auch die StVO an den neuen Zielen des StVG ausgerichtet ist, kann sich auf den Straßen spürbar etwas ändern.

Welche Folgen hat es bislang, dass das Straßengesetz dem Auto Privilegien einräumt?

Für Kommunen ist es zum Beispiel schwierig, eine Auto- oder Parkspur wegzunehmen und stattdessen eine Radspur einzurichten. Denn dadurch würde die Leichtigkeit des Autoverkehrs einschränkt. Deswegen sind gegen solche Maßnahmen Klagen möglich. Die Klagefreudigkeit ist in Deutschland sehr groß. In München zum Beispiel wurde in den vergangenen zweieinhalb Jahren so viel geklagt wie in den zehn Jahren davor nicht. Auch wenn die Stadt meistens gewinnt, ist der damit verbundene Aufwand unverhältnismäßig.

Wie gehen Städte damit um?

Wir sehen mutige Vorreiterinnen, die sagen: Man kann das Gesetz auch so und so auslegen. Manche andere probieren etwas, werden dann beklagt und müssen Maßnahmen wieder zurücknehmen. Wir haben aber auch viele Kommunen, die sich von vornherein nicht trauen, weil sie wissen, dass im Zweifelsfall der Radweg oder der Fußgängerüberweg kassiert wird. Deshalb braucht es diese Reform des Straßenverkehrsgesetzes, um Rechtssicherheit herzustellen

Können Städte nach der Reform sofort mit der Verkehrswende loslegen?

Im aktuellen Gesetzentwurf ist nicht eindeutig geregelt, wie groß die Handlungsspielräume und die Möglichkeiten der Kommunen sind. Das müsste deutlicher geregelt werden. Aber beim Beispiel Parken wäre vorstellbar, dass Kommunen ein flächendeckendes Parkraummanagement einführen können und nicht mehr Straßenzug für Straßenzug einzeln nachweisen müssen. Denn bisher läuft es so: Hier besteht Parkdruck, hier fangen wir an, Gebühren zu erheben. Dann verlagert sich der Druck auf die Nebenstraße, dann zieht die Kommune nach. Wenn die StVO entsprechend angepasst wird, kann zum Beispiel dieser Parkdrucknachweis gelockert werden oder wegfallen, einfach weil Parkraumbewirtschaftung aus städtebaulicher Sicht sinnvoll ist.

Eine von Agora Verkehrswende unterstütze Initiative von mittlerweile 742 Kommunen fordert die Möglichkeit, Tempo 30 einzuführen. Warum ist Tempo 30 so wichtig?

Der Verkehr wird mit Tempo 30 nachweislich sicherer. Wenn die Kommune gut plant, kann der Verkehrsfluss gleichbleibend gut sein. Wir haben massive Verbesserungen für Lärmschutz, für Lärmminderung und für Emissionsminderungen. Es geht um die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort für alle Verkehrsteilnehmenden und für die Anwohner:innen.

Könnten die Kommunen nach der Reform flächendeckend Tempo 30 durchsetzen?

Das kommt darauf an, wie die StVO angepasst wird. Mit den neuen Zielen im StVG wäre es jedenfalls möglich, die StVO so anzupassen, dass Kommunen auch großräumig Verkehrsberuhigungen anordnen können, eben weil dies zum Beispiel dem Umweltschutz und der Sicherheit von Fuß­gän­ge­r:in­nen und Rad­fah­re­r:in­nen dient.

Wie gut stehen die Chancen, dass die StVO angepasst wird?

Wir hören, dass das schon in der Vorbereitung ist. An der Reform der StVO ist auch der Bundesrat beteiligt. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder hat schon sehr konkrete Änderungen eingefordert, die auch Tempo 30 in den Kommunen einschließt. Aus den Ländern gibt es daher positive Signale, denn sie sind ja oft noch näher an den Kommunen als das Bundesverkehrsministerium.

Einige Verbände üben sehr harsche Kritik an dem Entwurf für das neue Straßenverkehrsgesetz, weil sie es für zu autofreundlich halten.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht perfekt. Da ist sicher handwerklich noch etwas zu verbessern. Wir müssen aber auch sehen, was in der aktuellen Regierungskoalition möglich ist. Was jetzt vorliegt, ist ein guter Kompromiss und ein solides Fundament. Auf diesem Fundament ist es möglich, die Mobilitätswende weiter aufzubauen. Wir haben monatelang befürchtet, dass die neuen Ziele entweder gar nicht oder als nachrangige Ziele aufgenommen werden. Damit wäre der Status quo tatsächlich zementiert oder sogar verschlechtert worden.

Wo müsste handwerklich nachgebessert werden?

Es bedarf einer Klarstellung, was die Handlungsspielräume der Kommunen angeht. Das ist uneindeutig und könnte klarer formuliert sein. Außerdem sollte eine Erprobungsklausel in das Gesetz aufgenommen werden, damit Kommunen vor Ort auch Dinge ausprobieren können, die jetzt nicht vorgesehen sind, und sie diese verstetigen können, wenn sie funktionieren. Das ist auch der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände.

Einschränkungen für Autofahrende führen regelmäßig zu Empörungswellen. Wie können die Bür­ge­r:in­nen bei der Verkehrswende mitgenommen werden?

Änderungen im Verkehr betreffen die Menschen viel direkter als andere Änderungen, etwa bei der Energiewende. Auch wenn am Ende vieles besser wird, scheuen viele am Anfang die Veränderung. Deshalb müssen wir mutiger werden,mehr wagen und dabei den Dialog suchen. Wenn Verbesserungen für alle spürbar werden, wird das auch die überzeugen, die erst noch unentschieden oder skeptisch waren

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