Umweltkatastrophe in Uganda: Wasser bis zum Hals
Eine schwimmende Insel im Victoriasee hat sich gelöst und verstopft zwei Dämme. Das führt zu massivem Stromausfall. Auch Kenia ist betroffen.
Der Grund: Eine neun Fußballfelder große, schwimmende Insel war vom Festland abgebrochen und war auf dem Victoriasee herum getrieben. Letztlich wurde sie durch die Strömung in den Abfluss des Nils geschwemmt und verstopfte dort zwei Dämme, die zur Stromgewinnung dienen.
Die Turbinen des Nalubaale-Damms direkt am Nilabfluss, des daneben liegenden Kiira-Damns sowie des acht Kilometer flussabwärts gelegenen Bujagali-Damms stehen bis heute aufgrund von Überhitzung teilweise still.
Das Land wird nun zum Großteil über Notstromaggregate versorgt, doch auch diese sind überlastet. Regelmäßig kommt es in verschiedenen Bezirken zu Stromausfällen oder gezielten Abschaltungen durch den Stromanbieter. Auch der Westen Kenias ist betroffen, weil Uganda Strom ins Nachbarland exportiert.
Schwimmende Wasserhyazinthen
Seitdem bemüht sich ein ganzes Bataillon von Soldaten und Ingenieurens mit Baggern, Baukränen und Hebeanlagen den schwimmenden Morast aus den Dammmauern zu säubern. Dabei handelt es sich zum Großteil um schwimmende Wasserhyazinthen, die den See und dessen Ufer seit Jahrzehnten wie eine Plage besiedeln.
Wasserhyazinthen kennt man in Europa als Gartenteichblumen. Im Victoriasee, dem größten Süßwassersee Afrikas und zweitgrößten See weltweit, richten sie seit Jahrzehnten eine gewaltige Umweltkatastrophe an.
2005 wurde der See vom Globalen Naturfund zum meist gefährdeten See erklärt. Laut einem 2018 erschienenen Bericht der Weltnaturschutzunion (IUCN) ist ein Fünftel der 651 untersuchten Arten im Viktoriaseebecken vom Aussterben bedroht.
Die Wasserhyazinthe ist keine heimische Pflanzenart, sie wurde eingeschleppt. Seit den 1990er Jahren sind 90 Prozent der ugandischen Küstenufer davon bedeckt. Sie raubt dem See und den darin lebenden Tierarten den Sauerstoff, verwandelt das Wasser in eine grün-schleimige Brühe, die übel riecht und den über 30 Millionen Menschen, die rund um den See leben, das Leben zur Hölle macht. Krankheiten wie Malaria, sinkende Fischbestände, mangelnde Trinkwasserreserven und Parasiten sind die Folge.
Starke Regenfälle
Und jetzt kommt auch noch der Stromausfall hinzu. Durch die Verstopfung der Dämme steigt nun der Wasserstand des Sees. Mittlerweile erreicht er ein Rekordhoch von 13 Meter über dem Normalstand, so hoch wie seit 1964 nicht mehr.
Hinzu kommen seit rund einem Jahr starke Regenfälle in der ganzen Region des Victoria-Beckens, auch in Ugandas Nachbarländern Ruanda, Kenia und Burundi. Von dort fließen zahlreiche Flüsse in den Victoriasee.
Dies führt nun zu einem Teufelskreis: Denn der See überschwemmt immer mehr Marschland und Sumpfgebiete entlang der Ufer. Dort brechen immer weitere Landstriche ab, die aufgrund der Ströme Richtung Nilabfluss treiben.
So geschah es, dass Ende April, kaum war der Großteil der ersten schwimmenden Insel auf den Dämmen entfernt, eine zweite Insel auf den Nil zutrieb. Schlepper mit Kränen mussten diese umleiten, doch sie zerbricht nun stetig in kleinere Teile, die nun eine weitere Blockade erzeugen können. Hellen Adoa, Staatsministerin für Fischerei, warnt mittlerweile von „mehreren weiteren Inseln“, die sich auf den Nilabfluss zubewegen werden.
Wasser im Wohnzimmer
Mittlerweile steht den Ugandern das Wasser buchstäblich bis zum Hals. In Munyonyo, dem schicken Vorstadtviertel der Hauptstadt Kampala, wo die reiche Schickeria am Seeufer lebt, fließt Wasser nun durch die Wohnzimmer der Superreichen. Betroffen ist auch das neu errichtete Victoria-Hotel, dessen Golfplatz unter Wasser steht.
In den übrigen Landesteilen sowie in den Nachbarländern verursachten starke Regenfälle in den vergangenen Wochen zahlreiche Erdrutsche. Es kam zu zahlreichen Toten.
Die genaue Zahl ist nach wie vor nicht bekannt, weil Menschen spurlos verschwanden und kaum Leichen geborgen wurden. Allein Ruandas Ministerium für Notfall- und Katastrophenschutz meldet 65 Tote, in Kenia wurden bis zu 200 Todesopfer und über 100.000 zerstörte Häuser gemeldet.
Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) betrachtet die Überschwemmungen mit Sorge. Durch die Corona-Krise seien laut WFP-Angaben ohnehin über 20 Millionen Menschen in der Region von Hunger betroffen. Ernteausfälle durch Fluten könne diese Krise noch verschärfen. Hoffnung ist nicht in Sicht: Die meteorologischen Institute der Region kündigen für die nächsten Wochen weitere Regenfälle an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe